100 Tage zum Eingewöhnen? – Nicht für OB Kern!

Michael Kern (CSU) ist seit gestern, dem 1. März, neuer Oberbürgermeister von Ingolstadt. Er gewann die Stichwahl am letzten Sonntag und trat die Nachfolge von Christian Scharpf (SPD) an. Scharpf, seit 2020 im Amt, verließ es vorzeitig, um Münchens neuer Wirtschaftsreferent zu werden – möglicherweise mit Blick auf das Amt des Münchener Oberbürgermeisters.

Für Kern gibt es keine Schonfrist. Ingolstadts finanzielle Lage ist angespannt. Die Gewerbesteuereinnahmen von VW brechen ein, ein genehmigter Haushalt fehlt. Lange lebte die Stadtpolitik in der Illusion, dass die üppigen Gewerbesteuerzahlungen von VW weiterfließen – wie im sprichwörtlichen Land von Milch und Honig. Doch diese Zeiten sind vorbei – mindestens für fünf Jahre, vielleicht länger, womöglich sogar dauerhaft.

Ein genehmigungsfähiger Haushalt muss her. Doch ohne massive Einsparungen und höhere Gebühren wird das nicht gelingen. Hohe Kreditaufnahmen und eine steigende Verschuldung sind bereits absehbar. Hinzu kommen milliardenschwere Investitionsprojekte: die Sanierung des Stadttheaters, das defizitäre Klinikum und dessen Generalsanierung, die mittlerweile auf eine Milliarde Euro beziffert wird. Ab 2026 trägt Ingolstadt die volle Verantwortung für das Klinikum – mit allen finanziellen Konsequenzen. Der Bezirk Oberbayern übernimmt dann die psychiatrische Versorgung. Nicht zu vergessen den Neubau und die Sanierung von Feuerwehrhäusern, den notwendigen Bau der zweiten Wache der Berufsfeuerwehr, nebst Personalmehrungen, um einem möglichen Organisationsverschulden zu entgehen. Hinzu kommen Schulsanierungen und Neubauten. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.

Kern steht zudem ohne eigene politische Mehrheit im Stadtrat da. Er muss für jede größere Entscheidung Mehrheiten suchen. Doch genau hier droht die größte Gefahr: Der Kommunalwahlkampf des Jahres 2026 wirft seine Schatten voraus, und so mancher politischer Akteur könnte die Gelegenheit nutzen, sich auf Kosten der Stadt zu profilieren. Statt Lösungen zu liefern, könnten populistische Reflexe dominieren. Maßnahmen, die unvermeidbar sind, könnten aus wahltaktischen Gründen blockiert werden, begleitet von lautstarkem Protest in der Öffentlichkeit und den Medien.

Die anstehenden Sparmaßnahmen und Gebührenerhöhungen sind unpopulär, aber unausweichlich. Kern muss diese nun der Öffentlichkeit vermitteln – eine undankbare Aufgabe, vor allem direkt nach Amtsantritt. Nur entschlossenes Handeln kann ein finanzielles Desaster verhindern.

Der Wahlkampf um die Stadtratsmandate wird zeitnah beginnen, auch ohne bereits aufgestellte Bewerberlisten. Parteien und Gruppierungen könnten sich als vermeintliche Retter vor Einsparungen und Gebührenerhöhungen inszenieren – ein bewährtes Wahlkampfmittel. Dass es ohne schmerzhafte Einschnitte nicht gehen wird, dürfte allen bewusst sein – doch ein offenes Eingeständnis könnte Stimmen kosten. Stattdessen könnte es zu einem politischen Schaulaufen kommen: Während notwendige Maßnahmen blockiert werden, gibt man sich zugleich als Fürsprecher von Anliegen der Bürgerschaft und kritisiert genau die Missstände, die ohne Einsparungen weiter eskalieren werden.

Kern muss eine Vielzahl komplexer Probleme sofort angehen. Ihm bleibt keine Zeit zum Einarbeiten. In den ersten 100 Tagen muss er seinen Stil, seine Prioritäten und erste Erfolge unter Beweis stellen – nicht nur gegenüber der Verwaltung, sondern auch gegenüber einer Bürgerschaft, die harte Einschnitte kaum akzeptieren wird. Es ist eine Mammutaufgabe. Für diese kann man ihm – im Interesse der Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger – nur viel Erfolg wünschen.

Foto: Thomas Thöne

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