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Basar der Ratlosen – Stadtrat beschließt Streichliste

Ingolstadt spart – und kürzt. In einer turbulenten Sitzung hat der Stadtrat entschieden, die freiwilligen Leistungen deutlich zu reduzieren. Doch nicht nur soziale Projekte und Kulturförderung fallen dem Spardruck zum Opfer.

Die Stadt muss ihren Verwaltungshaushalt jährlich um mindestens 30 Millionen Euro entlasten. Davon sollen 1,5 Millionen Euro durch Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen kommen. Der Rest: bislang unklar. Klar ist nur, dass gespart werden muss – und zwar drastisch.

Erstes Opfer: das Jugendparlament. Dessen Budget von 30.000 Euro sollte ab 2026 ersatzlos gestrichen werden. Nach einer intensiven Debatte mit emotionalen Plädoyers, unter anderem von Jugendparlamentsvorsitzender Evelyn Martin, einigten sich der Stadtrat auf 5000 Euro jährlich – das Existenzminimum für ein demokratisches Beteiligungsformat.

Nicht nur hier wurde gefeilscht wie auf einem Basar. Auch Bürgerhaushalte und der Klima-Projektfonds werden ab 2026 vollständig gestrichen. Der Kurs der Stadtratsmitglieder ist kompromisslos: keine neuen Vorhaben, keine teure Beteiligung mehr. Schon heute, so wurde im Plenum eingeräumt, decken die bisher beschlossenen Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen nur einen Bruchteil der erforderlichen 30 Millionen Euro ab.

Wie wir bereits ausführlich berichtet haben, ist die Misere nicht neu. Die Finanzkrise der Stadt hatte sich seit Jahren abgezeichnet. Einbrechende Gewerbesteuern, steigende Personalkosten und immer neue kostenintensive Projekte sorgten für eine schleichende, aber stetige Schieflage. Frühere Warnungen blieben ungehört, notwendige Entscheidungen wurden vertagt. Statt Konsolidierung wuchs die Zahl der kreditfinanzierten Großprojekte – versteckt in städtischen Beteiligungsgesellschaften.

Auch Finanzreferent Franz Fleckinger legte in der Sitzung die harten Zahlen auf den Tisch: 25 Millionen Euro fehlen 25 Millionen fehlen gegenüber dem Ansatz für dieses Jahr an Gewerbesteuereinnahmen. 2,5 Millionen bei der Grundsteuer, zehn bis zwölf Millionen weniger bei der Einkommenssteuer in den nächsten Jahren. Sparen sei unausweichlich, betonte Fleckinger. Dennoch: Der Stadtrat rang in der aktuellen Sitzung stundenlang um Mini-Beträge, als könne man damit ein Haushaltsloch stopfen.

Dass die Liste der Kürzungen überhaupt nur hinter verschlossenen Türen entstanden war, ist kritikwürdig. Bereits im Frühjahr hatte sich gezeigt, dass die Verwaltung eine „nichtöffentliche“ Streichliste erarbeitet hatte, die nur ausgewählten Stadtratsmitgliedern vorlag. Eine Veröffentlichung der „Giftliste“ gab es erst wenige Tage vor der heutigen Stadtratssitzung, die per Livestream übertragen wurde. Von frühzeitiger Transparenz, wie sie im zurückliegenden Oberbürgermeisterwahlkampf von allen politischen Seiten versprochen worden war, ist wenig geblieben.

Es rächt sich nun, dass die Sparvorschläge in einem interfraktionellen Arbeitskreis ausgearbeitet wurden und nicht in den zuständigen Fachausschüssen. Dort wäre eine offene Diskussion möglich gewesen. Auch die Betroffenen wurden nicht einbezogen – man entschied über sie, nicht mit ihnen. Gerade in Krisenzeiten hätte es nahegelegen, Betroffene zu Beteiligten zu machen und gemeinsam tragfähige Lösungen zu suchen.

Vorschläge, die Grundsteuer B moderat anzuheben, um größere Einschnitte bei den freiwilligen Leistungen zu vermeiden, wurden bereits im Vorfeld eingebracht. Die Ausschussgemeinschaft aus ÖDP und Linken hatte beantragt, auf die Kürzungen zu verzichten und stattdessen die Grundsteuer leicht zu erhöhen. Die Stadtverwaltung lehnte dies mit Verweis auf den bestehenden Grundsatzbeschluss zur Haushaltskonsolidierung ab. Stattdessen beschloss der Stadtrat heute die Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen fast einstimmig.

Insgesamt wurden die Zuschüsse um durchschnittlich 20 Prozent gekürzt. Sozial- und Kulturprojekte, Sportvereine, Jugendförderung – sie alle müssen künftig mit weniger auskommen. Besonders drastisch trifft es Einrichtungen wie die Kulturbastei. Der Versuch von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, wenigstens die Hälfte der bisherigen Förderung zu retten, scheiterte.

Auch an anderer Stelle zeigt sich die Unwucht der Sparmaßnahmen: Während Basisprojekte gestrichen werden, investiert die Stadt weiter in Prestigeprojekte. Jüngstes Beispiel: Fast eine halbe Million Euro werden für die Installation einer Außenskulptur am Museum für Konkrete Kunst und Design bereitgestellt – ein Vorhaben, das wegen der explodierten Baukosten bereits im Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes gelandet war.

Wie wir in früheren Berichten herausgearbeitet haben, kommen die Sparpläne zu spät und wirken zunehmend beliebig. Viele der Kürzungen treffen jene, die ohnehin keine starke Lobby haben: Ehrenamtliche Initiativen, kleinere Vereine, soziale Projekte. Wer sich Gehör verschaffen kann, rettet vielleicht ein paar Tausend Euro – der Rest bleibt auf der Strecke.

Dass gespart werden muss, steht außer Frage. Doch der politische Umgang damit wirft Fragen auf: Warum wurden notwendige Schritte so spät eingeleitet? Warum fehlte die Konsequenz in der Umsetzung? Und vor allem: Wie handlungsfähig ist ein Stadtrat noch, der wenige Monate vor der Kommunalwahl im März 2026 offenbar nur zögerlich unpopuläre Entscheidungen trifft?

Was bleibt? Eine Stadt, die ihre sozialen, kulturellen und jugendpolitischen Strukturen opfert, um Löcher im Haushalt notdürftig zu stopfen. Und ein Stadtrat, der sich um 5000 Euro für Jugendbeteiligung streitet, während im Hintergrund Millionen wegbrechen.

Was ebenso bleibt: die bittere Erkenntnis, dass in Ingolstadt nicht nur am Geld, sondern auch an der Demokratie gespart wird. Transparenz, Teilhabe, offene Debatte – einst laut versprochen, heute lautlos gestrichen.

Quelle: Eigene Berichterstattung.

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