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Der Bündniskandidat und die 2500 Wahlplakate

Es war einmal in Kleinprovincia, dem verschlafenen Juwel provinzieller Idylle, wo die Kommunalpolitik so lebendig ist, dass sie manchmal in Kleingedrucktem glänzt. Der Stadtrat – eine Institution, die selten für Aufsehen sorgt – beschloss jüngst jedoch eine sinnvolle Verordnung: 500 Plakate pro Partei und Kandidat, bei Wahlen und nicht mehr.

Eigentlich hatten zahlreiche Wählerinnen und Wähler gehofft, die Stadtratsmitglieder würden ihr Ansinnen erhören und ganz auf die Plakatflut verzichten. In früheren Wahlkämpfen hatte Kleinprovincia sich zeitweise in einen chaotischen Irrgarten aus wild verklebten Laternenpfählen, überwucherten Parkplätzen und nervtötenden Kandidatengrinsen verwandelt. Teile der Bürgerschaft, die sich schon lange daran störten, dass jede Wahl wie eine Schlacht der Papiermüllproduktion wirkt, konnten aber nicht aufatmen. Welcher Süßigkeitenladen würde seine eigene Kundschaft rationieren? Da die Politik selbst festlegt, wie viele Plakate erlaubt sind, bleibt der öffentliche Raum überfüllt von ihrer Eigenwerbung der Eitelkeit – ganz wie ein Zuckerrausch ohne Ende.

Natürlich geht Wahlkampf auch anders: digital, nachhaltig und ohne, dass es an jeder Straßenecke aussieht, als hätte eine Werbedruckerei ihre Reste entsorgt.

In der neu geordneten Plakatdemokratie tritt ein strahlender Held auf: der Gewerkschaftsfunktionär, der unbedingt Oberbürgermeister werden will. Mit der Begeisterung eines überdrehten Staubsaugervertreters und der Energie eines Hamsters, der gerade sein Laufrad neu entdeckt hat, tritt er an. Dies nicht nur für seine Partei, die im ganzen Land in der Farbe Rot antritt. Nein, er ist auch der Kandidat für vier weitere Parteien und Gruppierungen, die sich irgendwie zu faul oder unfähig fühlten, einen eigenen Anwärter für die Oberbürgermeisterkandidatur aufzutreiben. Sie nennen sich Bündnispartner und kreierten bescheiden „Das Bündnis für Kleinprovincia“.

Pressemitteilungen der Bündnispartner schießen aus dem Boden wie Pilze nach einem Regentag. „Wir können uns vorstellen, dass er unser Kandidat wird“, „Er hat sich vorgestellt“, „Er wird unser Kandidat“, „Er wurde nominiert“, „Er stellt sein Wahlprogramm vor“, „Er hat sein Wahlprogramm vorgestellt“.

Jede Pressemitteilung wird von einigen Medien Kleinprovincias in den Schlagzeilen behandelt wie das Geheimrezept einer legendären Kochikone. Mehr kostenlose Werbung geht gar nicht. Da stehen die anderen Bewerber um das Oberbürgermeisteramt in der Dunkelkammer der Redaktionen.

Und die sozialen Netzwerke? Die beben unter der Flut der Postings des Bündniskandidaten. Der Mann kann den „Posten“-Button nicht mehr loslassen. Es ist, als hätte er einen Marathon im Dauerspammen gewonnen oder als wäre er an einer Steckdose festgeklemmt, die permanent unter Strom steht.

Doch nicht nur das: Der Mann entdeckt das Marketing für sich. Seine Parteifarbe? Über Bord geworfen! Stattdessen taucht er in Orange auf – eine Farbe, die eigentlich einer anderen Partei gehört, die dem Wahlbündnis nicht angehört. Diese ist für ihre orangen Plastikeimer im Wahlkampf und das Motto „Die Brücke zum Bürger“ bekannt. Und siehe da, der Bündniskandidat hat plötzlich eine Brücke neben seinem Namen. Man muss ja die Konkurrenz nicht nur überholen, sondern auch gleich plakattechnisch enteignen!

Das Beste kommt jedoch zum Schluss: Der Bündniskandidat, eine Ikone der Bescheidenheit, hat eine bahnbrechende Offenbarung. Seine Logik? Wenn er für fünf Parteien und Gruppierungen antritt, dann hat er natürlich auch das Fünffache an Rechten – oder, präziser gesagt, an Plakaten. 2500-mal sein strahlendes Antlitz, das die Bürgerinnen und Bürger an jeder Straßenecke mit demselben charmanten Lächeln begrüßt, das irgendwo zwischen „Ich helfe gerne“ und „Ich weiß, was gut für euch ist“ balanciert.

Dass er dabei nur einmal auf dem Wahlzettel steht? Ach, solche Kleinigkeiten sind in den Sphären des Bündniskandidaten schlicht irrelevant. „Das lassen wir rechtlich prüfen“, verkündete er jüngst im Rat der Ältesten der Stadt Kleinprovincia, wobei seine Miene suggerierte, dass es ohnehin nur eine Formsache sei. Schließlich geht es hier nicht um irgendeine Regelung, sondern um das große Ganze – nämlich ihn selbst.

Während die anderen Parteien die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, bleibt der Kandidat unerschütterlich. Sein Selbstverständnis? Er sei ja schließlich nicht irgendein Kandidat, sondern eine Bündnispersonifizierung! Seine Argumentation gleicht dabei fast einem Naturgesetz: Wo fünf Parteien sind, da besteht auch fünfmal mehr Anspruch, Plakate aufzustellen.

Aber keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser, Kleinprovincia ist selbstverständlich nur ein Fantasieprodukt. Die Realität ist viel geordneter, rationaler und frei von grotesken Ego-Schlachten. Oder etwa nicht?

Fortsetzung folgt …

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