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Kleinprovincia – wo die Welt noch wohlig-vertraut in den sanften Schleifen des Alltags kreist. Die Stadt, die bekannt ist für ihre gelebte Toleranz gegenüber anderen Meinungen, in der kein Shitstorm gegen die Regenbogenfahne tobt, sondern höchstens ein freundlicher Hinweis auf die korrekte Windrichtung beim Hissen. Selbst die konservativsten Bürger der Stadt marschieren beim CSD mit – in auffälliger Kleidung, mit Glitzerhut, Konfetti und einem Lächeln, das so tolerant ist, dass es sich selbst auf die Schulter klopfen könnte.
In Kleinprovincia wird Demokratie nicht nur gelebt, sondern zelebriert. Der Stadtrat achtet mit seismografischer Präzision darauf, dass die Stadtfinanzen nicht ins Rutschen geraten. Jedes Mitglied reflektiert mehrfach vor der Abstimmung, ob der Beschluss dem Gemeinwohl dient – und ob dadurch kein Geld für soziale Projekte verloren geht. Niemand in Kleinprovincia geht leer aus – weder die Pflegebedürftigen, die sofort einen Heimplatz samt Fußreflexzonenmassage erhalten, noch die Bürger in der Notaufnahme, wo man schon beim Einparken eine Erstdiagnose bekommt – ganz ohne Rettungsleitstelle oder Termin.
Und doch – in dieser perfekten Idylle gibt es ein kleines, unbedeutendes Online-Nachrichtenportal, dem manche Leser mit einer Inbrunst die Schuld zuweisen, als sei es persönlich verantwortlich für den Zustand der Stadtkasse, das Wetter und den Rücktritt des Papstes.
Der Anruf der Erkenntnis
An einem gewöhnlichen Nachmittag – das Telefon liegt wie immer griffbereit – klingelt es. Freundlich wird abgehoben: „Grüß Gott …“
„Mein Name ist … Sie kennen mich!“, knarzt es aus dem Hörer – in einem Ton zwischen beleidigtem Stadtheiligen und bürgerlichem Unwetterbericht.
Natürlich kannte man ihn. Sein Name geisterte vor vielen, vielen Jahren durch Gespräche, Ausschüsse und zufällige Begegnungen am Rande von Veranstaltungen. Man musste ihn gar nicht persönlich getroffen haben, um zu wissen, dass man ihn kannte – es sei denn, er war gerade krank oder im Urlaub. Und selbst dann wusste man zumindest, dass er bald wieder da ist.
„Sie sind schuld!“
„Sie sind schuld!“, schmettert er. „Woran genau?“, fragt man zurück – höflich, interessiert, ahnungslos. „An dem Verkehrsschild vor meiner Haustür!“, kommt es zurück – in einer Mischung aus Entrüstung, Überzeugung und leichtem Donnerhall. Aha. Natürlich. Ein Verkehrsschild.
„Und außerdem schreiben Sie grundsätzlich tendenziös. Man weiß ja, in Kleinprovincia, was Sie für einer sind!“, ergänzt er mit einer Mischung aus Anklage, Urteil und persönlichem Endurteil über die Berichterstattung des Nachrichtenportals. „Sie sind auch schuld, dass früher, als Sie noch …“ – es folgte eine Aufzählung, bei der man kurzzeitig das Gefühl hatte, nicht mit einem verärgerten Bürger zu sprechen, sondern mit einem modernen Orakel von Delphi.
Schon langsam dämmerte es dem Angerufenen, worum es dem netten älteren Herrn am Telefon eigentlich ging. Eine Verkehrsregelung nach einem Beschluss des zuständigen Ausschusses des Stadtrats. Und dieser Ausschuss – so zumindest die Logik des Anrufers – handelte ausschließlich wegen eines Artikels des Nachrichtenportals. Eine investigative Schuldvermutung mit direkter Wirkung aufs Stadtbild.
Also wurde natürlich geduldig versucht zu erklären: Man habe auf Hinweise aus der Bevölkerung reagiert, eine offizielle Medienanfrage an die städtische Pressestelle gestellt und – man glaubt es kaum – anschließend über die Ergebnisse berichtet. Ein Vorgang, der dem Anrufer – sagen wir – nicht völlig unbekannt war.
Nach dieser Erklärung wird klar: Dieses Gespräch hat weniger mit Fakten zu tun als mit tief verwurzelter Gewissheit. Man fühlt sich unweigerlich an jene erinnert, für die Fakten optional und Schuldfragen eine Glaubensfrage sind.
Der krönende Schluss:
Der Anrufer gibt beiläufig zu, die Berichterstattungen, die zum Verkehrsschild geführt haben sollen, gar nicht gelesen zu haben. Er habe diese mit den benutzten Begriffen in der Suchfunktion des Nachrichtenportals nicht gefunden.
Das Geständnis
An dieser Stelle ist Ehrlichkeit gefragt. Daher ein öffentliches Bekenntnis in aller Form: Ja, bei dem kleinen Onlineportal wird jeden Tag sorgfältig geplant, wer in der Berichterstattung das Tagesopfer wird. Der Autor entscheidet bereits vor dem ersten Kaffee, wen er heute ins mediale Sperrfeuer nimmt. Besonders unbeliebte Personen erhalten eine ganze Serie: fünf Artikel pro Tag – flächendeckend, tendenziös, mit frei erfundenen Wahrheiten – aber sauber formatiert. Aufgewärmt wird nichts – alles kommt heiß aus der Tastatur.
Das Nachrichtenportal ist schuld: Wenn der städtische Haushalt implodiert, das WLAN schwächelt oder die Katze nachts schreit. Wenn bei Rot gehalten oder bei Grün gefahren wird. Wenn das Freibad zu leer oder zu voll ist. Wenn die Parkplatzsituation eskaliert, die Umgehungsstraße verstopft ist oder das Kirmespferd von 1998 immer noch nicht wieder aufgetaucht ist. Wenn das Niveau der Stadtratssitzung schwankt oder das Wetter nicht den Erwartungen entspricht – egal ob zu heiß, zu kalt, zu trocken oder zu nass.
Und am Ende …
Das Gespräch ist beendet. Draußen wird ein neues Schild aufgestellt: „Vorsicht – freie Meinung.“
Der Himmel ist wolkenlos, das Stadtsäckel leer, die Bürger diskutieren. Und das Nachrichtenportal? Ist weiterhin schuld. Selbstverständlich.
Fortsetzung folgt… Verantwortung bleibt delegierbar.
O-T(h)öne – wo Satire keine Warnweste braucht.
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