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Von Thomas Thöne
In Ingolstadt verteilt der Stadtrat Ehrentitel inzwischen wie Werbegeschenke im Kommunalwahlkampf. Der frühere Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD), der nicht einmal eine Amtszeit zu Ende brachte, darf sich nun „Altoberbürgermeister“ nennen. Ausgerechnet er – der ging, als es schwierig wurde, und die Stadt in einer Phase verließ, die viele als finanziell sehr angespannt beschrieben. Kritiker sprechen von Symbolpolitik statt von Verantwortung. Was soll die Ehrung für Scharpf sein? Tradition? Lokalfolklore? Oder Selbstveredelung auf offener Bühne? Unterm Strich ist aus der Bürgerschaft nach seinem Abgang vermehrt zu hören, er habe vor allem einen gut dotierten Job verwaltet und die selbst erzeugten Erwartungen nicht erfüllt – mehr nicht. Wie gut oder schlecht seine Bilanz wirklich gewesen wäre, hätte erst die Kommunalwahl 2026 gezeigt – wenn er noch einmal angetreten wäre.
Das Ritual ist so bequem wie durchschaubar. Scharpf kam 2020 als Hoffnungsträger, verließ das Amt Ende Februar 2025 wieder und wechselte Richtung München – offiziell „aus persönlichen Gründen“, inoffiziell flankiert von Spekulationen über seine politische Zukunft. Schon Scharpfs Vorgänger Christian Lösel (CSU) erhielt nach nur einer Amtsperiode den Alt-Titel – damals sorgte das für Stirnrunzeln. Kritiker sehen darin den Beginn eines Ehrungs-Automatismus, der sich nun verstetigt. Während Haushaltslöcher wachsen, poliert man in Ingolstadt Lebensläufe. Verantwortung jedenfalls sieht anders aus.
Mehr und mehr bekommt das Ganze ein Geschmäckle: nach dem Motto „Machst du unsere Person zum Titelträger, dann stimmen wir beim nächsten Mal für deine Vorlage.“ Demokratie als Tauschgeschäft – nicht nach Leistung, sondern nach Lagerlogik. Ein politischer Basar, auf dem Ehre zur Währung wird und Prinzipien als Kleingeld verschwinden. So entwertet man jene Ehrungen, die diesen Namen tatsächlich verdienen – bisher wie künftig, dort, wo Menschen sich durch echte Leistung um die Stadt verdient gemacht haben.
Noch ein Punkt, der in der ganzen Debatte untergeht: Solange ein ehemaliger Oberbürgermeister oder Bürgermeister weiterhin im Stadtrat sitzt, sollte auf eine solche Ehrung grundsätzlich verzichtet werden. Alles andere schafft Abhängigkeiten, mögliche Gefälligkeiten – oder zumindest den Eindruck davon. Eine Ehrung ist eine Bewertung der Amtsführung durch den Stadtrat. Wer noch Teil dieses Gremiums ist, kann auf Stimmungen, Mehrheiten und Beschlüsse Einfluss nehmen. Genau deshalb braucht es Abstand zwischen Amt und Auszeichnung. Das ist keine Misstrauenserklärung, sondern ein Mindeststandard politischer Hygiene.
Dabei ist die Lage in Ingolstadt zu ernst, um sich weiter in Ehrenritualen zu verlieren, bei denen sich die Bürgerschaft längst fragt, warum sie überhaupt noch vergeben werden. Seit wann reicht es für eine der höchsten städtischen Auszeichnungen, einmal kurz den Rathausschlüssel getragen zu haben? Wer inflationär ehrt, entwertet, was früher Gewicht hatte.
Und weil sich Rituale verselbstständigen, dürfte der Ehrungsreigen damit noch lange nicht enden. Die nächsten „Alt“- und „Ehren“-Titel scheinen bereits vorprogrammiert – die Rathauslogik lässt wenig anderes erwarten. Bleibt der Automatismus bestehen, könnten am Ende auch die amtierende Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll (CSU) oder ihre Kollegin Petra Kleine (Grüne) protokollarisch vergoldet werden, ganz unabhängig davon, wie lange sie im Amt sind. Und als wäre das nicht genug, kursiert in Rathauskreisen sogar der Name Manfred Schuhmann (SPD) als möglicher künftiger Ehrenbürger – Thema im Ältestenrat, heißt es, aber ohne Ergebnis. Ingolstadts Ehrkultur wirkt inzwischen wie ein Panini-Sammelalbum: Wer lange genug dabei ist, bekommt früher oder später einen goldenen Glitzersticker.
Ehrentitel sind keine Tauschware und keine Karriere-Deko. Sie sollten Ausnahme sein, nicht Routine. Wer Vertrauen in Politik zurückerobern will, muss Schluss machen mit Symbolik für den Eigengebrauch. Ingolstadt braucht Haltung, nicht Habitus – und echte Anerkennung, die von Leistung kommt, nicht von der richtigen Seite des Ratssaals.
Am Ende hätte man von Christian Scharpf erwarten können, diese Ehrung auszuschlagen. Stattdessen nahm er sie an – und wurde Teil des Rituals, das er selbst hätte beenden können. Eine verpasste Chance für Größe.
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