Die Europäische Zentralbank (EZB) hätte die Inflation in den Jahren 2021 bis 2023 mit einer früheren Leitzinserhöhung schneller und effektiver in den Griff bekommen können. Die Wirtschaft im Euroraum hätte sich gemessen an der Industrieproduktion zwar schlechter entwickelt, wäre aber nur kurzfristig noch stärker belastet worden. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Forscher der Abteilung Makroökonomie haben modellbasiert berechnet, wie sich Inflation und Wirtschaft entwickelt hätten, wenn die EZB die Zinsen früher und stärker erhöht hätte, um ihrem Primärmandat der Preisstabilität besser gerecht werden zu können. Als die Inflation ab Mitte 2021 zunahm und mit Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 sprunghaft stieg, entschied sich die EZB zunächst gegen eine Zinserhöhung. „Die EZB begründete ihre zögerliche Antwort unter anderem damit, dass sie mit ihrer Geldpolitik keinen Einfluss auf die Energiepreise nehmen könne. Die Annahme ist aber falsch, wie unsere Beobachtungen zeigen. Sie hätte somit die letzte Inflationswelle direkt an der Wurzel bekämpfen können“, sagt Studienautor Ben Schumann. Tatsächlich hat die Geldpolitik einen Effekt auf die Energiepreise am Weltmarkt, weil höhere Leitzinsen die Energienachfrage des Euroraums dämpfen. Darüber hinaus wertet dadurch der Euro zum Dollar auf, was die Energiepreise innerhalb der Eurozone noch stärker fallen lässt als die Weltmarktpreise. Demnach hätte die EZB dem energiepreisgetriebenen Anstieg der Inflation durchaus entgegenwirken können. Die DIW-Ökonomen konnten nun nachweisen, dass mit einer deutlichen, schrittweisen Erhöhung der Leitzinsen schon ab Mitte 2021 die Inflation nur bis auf maximal drei Prozent gestiegen wäre – statt auf mehr als zehn Prozent im August 2022. „Durch die höheren Zinsen hätte die EZB auch ein klareres Bekenntnis zur Inflationsbekämpfung gegeben. Dies hätte den Inflationsdruck so gesenkt, dass die Inflation nach dem russischen Angriffskrieg nicht so stark gestiegen wäre“, sagt DIW-Ökonom Ben Schumann. „Letztlich haben nicht allein der Ukraine-Krieg und andere exogene Faktoren zu der hohen Inflation geführt; ein Teil der Inflation ist unseren Berechnungen zufolge auch hausgemacht.“ EZB im Dilemma zwischen Preisstabilität und fehlendem Handlungsspielraum Hintergrund der zögerlichen EZB-Politik könnte auch gewesen sein, dass die wirtschaftliche Lage vieler Euroländer nach der Pandemie schlecht war und sich die EZB um die Stabilität des Finanzsektors sorgte. Insgesamt hätte mit einer frühzeitigen Leitzinserhöhung das Bruttoinlandsprodukt des Euroraums rund drei Prozent unter dem tatsächlich realisierten Niveau gelegen, sich aber bis Ende 2023 auch wieder erholt. „Die EZB konnte ihrem primären Mandat der Preisstabilität in dem damaligen Umfeld nur schwer nachkommen. Denn dafür hätte sie auch die Freiheit gebraucht, nicht die wirtschaftliche Lage im Euroraum, die Höhe der Staatsschulden und vor allem die Finanzmärkte berücksichtigen zu müssen, wenn sie die Zinsen erhöht“, gibt Abteilungsleiter Alexander Kriwoluzky zu bedenken. Da die Euroländer weit entfernt davon sind, bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik an einem Strang zu ziehen, ist es für die EZB unmöglich, die diversen Konstruktionsfehler der gemeinsamen Währung zu kaschieren. „Um der EZB die Freiheit zu geben, ihr primäres Mandat der Preisstabilität gerade in Krisenzeiten mit hoher Inflation zu erfüllen, braucht es zuallererst eine Kapitalmarktunion und eine fiskalische Union mit einem gemeinsamen sicheren Wertpapier für alle Euroländer“, folgert Kriwoluzky. „Nur dann wird die EZB solch einen Preisschock wie den Überfall Russlands auf die Ukraine künftig schneller und noch wirkungsvoller bekämpfen können – sonst bleibt es bei der berühmten Quadratur des Kreises als Herausforderung für die EZB.” Quelle: DIW. |
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