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Ingolstadt spart – an der Demokratie

Von Thomas Thöne

Ingolstadt muss sparen – und das nicht zu knapp. Die Haushaltslage ist kritisch, eine tiefgreifende Haushaltskonsolidierung steht an. Die Bevölkerung wird die Einschnitte spüren. Umso erstaunlicher ist, wie wenig politisch – und wie wenig öffentlich – diese Einschnitte derzeit diskutiert werden.
Eine Arbeitsgruppe des Stadtrats arbeitet an einer Liste möglicher Kürzungen. Sie existiert für die freiwilligen Leistungen der Stadt, das ist mittlerweile bekannt. Aber sie bleibt geheim. Die Liste ist als nichtöffentlich eingestuft. Einsehbare Protokolle? Fehlanzeige. Öffentliches Signal? Ebenfalls nicht vorhanden. Stattdessen heißt es, es handle sich lediglich um eine erste Meinungsbildung – noch ohne Beschlusscharakter. Als sei politische Verantwortung erst dann gefragt, wenn der Hammer fällt.

Diese Argumentation ist nicht nur dürftig – sie ist bezeichnend. Wer meint, politische Prozesse seien erst dann von öffentlicher Bedeutung, wenn ein förmlicher Beschluss gefasst wird, missversteht die Grundlagen demokratischer Legitimation. Gerade in der Frühphase werden die entscheidenden Weichen gestellt. Wer die Öffentlichkeit ausschließt, nimmt ihr die Möglichkeit zur Teilhabe – und sich selbst den Mut zur Debatte. Dabei wäre genau jetzt Haltung gefragt. Doch statt im Sitzungssaal zu begründen, was gestrichen werden soll, wird lieber bei Kaffee oder Cola im kleinen Kreis beraten. Ohne Widerspruch, ohne Öffentlichkeit. Offenbar ist das bequemer.

Noch gravierender ist die Stille drum herum. Der Ingolstädter Stadtrat hat 50 Mitglieder. Niemand hat bisher beantragt, die Vorschlagsliste öffentlich zu beraten. Niemand hat widersprochen, niemand öffentlich Stellung bezogen. Offenbar herrscht ein fragwürdiges Einvernehmen: diskutieren ja – aber bitte nicht dort, wo es ungemütlich wird.

Ein Beispiel für diese politische Vermeidungsstrategie liefert ÖDP-Stadtrat Fred Over. Auf eine konkrete Nachfrage, ob er im Namen der Ausschussgemeinschaft oder nur für sich selbst gesprochen habe, antwortete er knapp: Er habe seinen bisherigen Ausführungen nichts hinzuzufügen. Das ist keine Klärung, sondern Rückzug. Und ein gutes Beispiel dafür, dass in der Ingolstädter Kommunalpolitik kritische Nachfragen durch Medien offenbar nicht mehr selbstverständlich sind – sie stören die politische Wohlfühlatmosphäre. Dabei gilt: Stadtratsmitglieder sind nicht die Erwählten, sondern die Gewählten.

Besonders schwer wiegt das im Fall kleinerer Gruppierungen. Die ÖDP etwa kam bei der letzten Stadtratswahl auf rund vier Prozent. Fred Over zog mit vergleichsweise wenigen Stimmen ins Gremium ein – dank eines Wahlsystems, das auch Minderheitspositionen sichtbar macht. Gerade daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung: Wer durch das Privileg demokratischer Repräsentation ein Mandat erhält, muss besonders transparent und rechenschaftspflichtig handeln. Politischer Einfluss ohne öffentliche Erklärung untergräbt genau jene Offenheit, auf die sich solche Mandate gründen.

Die Verteidigung, es habe sich lediglich um einen informellen Termin zur Meinungsbildung gehandelt, überzeugt nicht. Wer politische Inhalte verhandelt – selbst im Vorfeld –, übernimmt Verantwortung. Das gilt für große Fraktionen ebenso wie für kleine.

Und die Öffentlichkeit? Sie darf, wenn es so weitergeht, irgendwann erfahren, was gestrichen wurde – nicht aber, wer es wollte. Keine Debatte, keine Klarheit, kein Vertrauen. Besonders irritierend ist der Kontrast zu den Wahlversprechen, die noch im Februar während des Oberbürgermeisterwahlkampfs gemacht wurden. Transparenz, Teilhabe, frühzeitige Einbindung – das versprachen Kandidaten fast aller Lager, von CSU bis ÖDP. Und heute? Nichts davon ist geblieben.

Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, zu wissen, was im Rathaus diskutiert wird – und von wem. Der Verweis auf interne Verfahren ersetzt keine politische Erklärung. Wer glaubt, dass sich Verantwortung vertagen lässt, irrt. Wer schweigt, statt zu erklären, dokumentiert nicht Gelassenheit, sondern Distanz zur Demokratie.

Politik lebt vom Streit, nicht vom Konsens im Hinterzimmer. Wer davor zurückschreckt, sollte sein Mandat überdenken. Wer Rückfragen ignoriert, verwechselt demokratische Verantwortung mit bequemer Verwaltung.

Demokratie beginnt nicht mit dem Wahlzettel. Sie beginnt mit dem Mut, sich zu erklären – auch dann, wenn es unbequem wird. Wer dazu nicht bereit ist, handelt nicht als Volksvertreter, sondern als Befehlsempfänger. Und das kann sich eine Stadt wie Ingolstadt nicht leisten.

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