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Bereits 1992 wies das sogenannte Inselgutachten von Professor Rainer Greca von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt auf die wirtschaftliche Monostruktur Ingolstadts hin. Es warnte eindringlich vor der einseitigen Abhängigkeit von Audi und empfahl eine Diversifizierung der Wirtschaft, um externe Krisen besser abfedern zu können. Diese Mahnungen wurden jedoch über Jahrzehnte hinweg ignoriert oder als übertrieben abgetan.
Seit Jahren ist die Abhängigkeit Ingolstadts von den Gewerbesteuereinnahmen des VW-Konzerns, zu dem Audi gehört, bekannt. Die Stadt sieht sich nun mit einer schwierigen finanziellen Lage konfrontiert. Doch ab wann war diese Entwicklung erkennbar? Eine faktenbasierte Analyse gibt Aufschluss darüber, wie sich die Finanzlage der Stadt über einen längeren Zeitraum veränderte und welche Maßnahmen sinnvoll gewesen wären.
2015: Der Wendepunkt – Die Dieselkrise beeinflusst die Automobilindustrie
Im September 2015 wurde der VW-Dieselskandal bekannt. Millionen Fahrzeuge waren mit manipulierter Abgas-Software ausgestattet. Die unmittelbaren finanziellen Folgen für Volkswagen und seine Tochterunternehmen waren erheblich: VW musste hohe Rückstellungen bilden, um Rechtsstreitigkeiten und Rückrufaktionen zu finanzieren. Noch im selben Jahr reduzierte Volkswagen die Vorauszahlungen der Gewerbesteuer für Audi auf Null.
Für Ingolstadt bedeutete dies eine spürbare Veränderung. Die Stadt erhielt 2015 nur noch rund 111 Millionen Euro an Gewerbesteuer – ein deutlicher Rückgang gegenüber 2014 (200 Millionen Euro). Dies zeigte bereits frühzeitig, dass sich die Finanzlage der Stadt verändern könnte.
2016: Rückgang der Gewerbesteuer und erste Haushaltsmaßnahmen
2016 stabilisierten sich die Einnahmen leicht, blieben jedoch mit 169 Millionen Euro weiterhin unter dem Vorkrisenniveau. Der Stadtkämmerer wies darauf hin, dass künftig nur noch mit etwa 60 bis 70 Millionen Euro Gewerbesteuer pro Jahr von Audi gerechnet werden könne. Infolge dieser Entwicklung wurden erste Maßnahmen getroffen, darunter eine Haushaltssperre zur Anpassung an die veränderten Einnahmebedingungen.
Bereits in diesem Jahr wurde ersichtlich, dass die Abhängigkeit von einem einzelnen Unternehmen eine Herausforderung für die Stadtfinanzen darstellen könnte. Eine umfassendere Strategie zur Diversifizierung der Einnahmequellen wäre daher ein sinnvoller nächster Schritt gewesen.
2017-2018: Veränderungen in der Automobilbranche und neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen
In den Jahren 2017 und 2018 beeinflussten verschiedene Faktoren die deutsche Automobilindustrie. Fahrverbote für Diesel wurden verstärkt diskutiert, der Diesel-Anteil an den Neuzulassungen sank merklich. Zusätzlich traten neue Umweltvorgaben wie der WLTP-Abgastestzyklus in Kraft, was zu Produktionsverzögerungen führte.
Audi verzeichnete 2018 einen Rückgang der Verkaufszahlen in Europa um nahezu 14 %. Zudem wurde ein Bußgeld in Höhe von 800 Millionen Euro im Zusammenhang mit dem Dieselskandal akzeptiert. Diese Faktoren führten zu weiteren Herausforderungen für das Unternehmen und beeinflussten die Gewerbesteuerzahlungen an die Stadt.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre es ratsam gewesen, eine langfristige Finanzstrategie zu entwickeln, die zukünftige Risiken berücksichtigt. Eine stärkere Ausgabenkontrolle und noch intensivere Rücklagenbildung hätten eine nachhaltige Lösung für künftige Haushaltsplanungen schaffen können.
2019-2020: Umstrukturierungen und wirtschaftlicher Wandel
2019 zeigte sich ein weltweiter Rückgang des Automobilmarktes. Besonders in China, einem bedeutenden Absatzmarkt für VW und Audi, kam es zu Einbußen. Audi kündigte im November 2019 den Abbau von 9.500 Arbeitsplätzen bis 2025 an, um Einsparungen für die Transformation hin zur Elektromobilität zu ermöglichen.
Diese Entwicklungen machten deutlich, dass sich sowohl die Automobilbranche als auch die kommunale Finanzlage weiter verändern würden. Maßnahmen zur langfristigen Haushaltssicherung, wie eine schrittweise Reduzierung freiwilliger Ausgaben oder eine Diversifizierung der Einnahmequellen, wären in dieser Phase eine angemessene Reaktion gewesen.
2024: Anpassungsmaßnahmen aufgrund veränderter Einnahmen
Im Jahr 2024 beschloss der Stadtrat ein erstes Sparpaket, um auf die angespannte Haushaltslage zu reagieren. Doch während diese Maßnahmen darauf abzielten, die finanzielle Situation der Stadt zu stabilisieren, wurden sie durch neue, nicht eingeplante Ausgaben konterkariert. Diese resultierten aus Stadtratsbeschlüssen, die zusätzliche finanzielle Belastungen mit sich brachten, anstatt den Konsolidierungskurs konsequent fortzuführen.
Die Stadtspitze reagierte mit einer Haushaltssperre. Allein 2025 sind Kreditaufnahmen in Höhe von 135,3 Millionen Euro vorgesehen. Bis 2028 wird sich die Gesamtverschuldung der Stadt auf über 500 Millionen Euro summieren.
Diese Entwicklungen zeigen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Stadtfinanzen seit mehreren Jahren gewandelt haben. Die strukturellen Veränderungen in der Automobilindustrie hatten bereits frühzeitig Auswirkungen auf die Gewerbesteuerbasis. Eine kontinuierliche Anpassung der kommunalen Finanzpolitik an diese Entwicklungen wäre nötig gewesen.
Notwendigkeit einer langfristigen Finanzstrategie
Die Analyse zeigt, dass Ingolstadt seit 2015 mit immer wieder veränderten Gewerbesteuereinnahmen konfrontiert ist. Bereits 2016 wurde deutlich, dass langfristige Auswirkungen zu erwarten sind. Spätestens 2018/2019, als Audi strukturelle Veränderungen ankündigte, wurde klar, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen dauerhaft wandeln.
Eine frühzeitige Anpassung der Finanzstrategie hätte dazu beitragen können, heutige Herausforderungen abzumildern. Maßnahmen wie eine konsequente Rücklagenbildung, stärkere politische Maßnahmen und Bemühungen zur Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur und eine kontrollierte Anpassung der kommunalen Ausgaben hätten die finanzielle Handlungsfähigkeit der Stadt nachhaltig gesichert. Eine vorausschauende Finanzplanung bleibt essenziell, um zukünftige Herausforderungen frühzeitig zu identifizieren und finanzielle Handlungsspielräume zu sichern.
Quelle: Eigene Berichterstattung.
Lesen Sie hierzu auch: Ingolstadts Pleite: Krisenmanagement oder Krisenblindheit? und Ingolstadt vor finanzieller Zerreißprobe.
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