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In Ingolstadt mehren sich die Anzeichen für eine bedenkliche Entwicklung: Immer mehr Entscheidungen werden außerhalb der öffentlichen Gremien des Stadtrats vorbereitet – in internen Arbeitsgruppen, informellen Runden und nichtöffentlichen Sitzungen. Ein struktureller Rückzug aus der Transparenz hat eingesetzt, der längst nicht nur Einzelfälle betrifft, sondern zum Prinzip zu werden droht.
Ein aktuelles Beispiel liefert die geplante Neuausrichtung der städtischen Bauinvestitionen. Es geht um nichts weniger als die Zukunft von Schulbauten, Quartiersentwicklungen und städtischer Infrastruktur. Und doch: Der inhaltliche Vorlauf zu diesem Thema fand nicht in den öffentlichen Ausschüssen oder im Stadtrat statt, sondern in einem interfraktionellen Arbeitskreis – ohne Öffentlichkeit, ohne Protokoll, ohne Beteiligung der Bürgerschaft oder der Presse. Nach demselben Muster wurde bereits zuvor bei den Kürzungen der freiwilligen Leistungen der Stadt verfahren – auch hier wurde zunächst intern beraten, bevor die Öffentlichkeit mit fertigen Vorlagen konfrontiert wurde.
Erst jetzt, kurz vor der politischen Finalisierung, soll die Thematik in den zuständigen Ausschüssen sowie im Plenum des Stadtrats behandelt werden. Grundlage dafür ist jedoch eine Beschlussvorlage, deren Eckpunkte bereits in nichtöffentlichen Vorgesprächen abgestimmt wurden. Auch die Medien erfahren von den Inhalten nicht durch transparente Beratung, sondern durch eine anberaumte Pressekonferenz mit Oberbürgermeister Michael Kern (CSU) am kommenden Mittwoch.
Bauen, kürzen, abnicken
Solche Verfahren lassen nicht nur an demokratischer Offenheit zweifeln – sie folgen auch einem wiederkehrenden Muster. Ob es um Klinikfusionen, die Kürzung freiwilliger Leistungen oder um Fragen zur städtischen Infrastruktur geht: Immer häufiger werden Inhalte hinter verschlossenen Türen vorentschieden. Die öffentliche Sitzung gerät zur Formsache, die Debatte zur Inszenierung.
Aus Debatte wird Dramaturgie
Dass dieser Trend nicht nur auf Arbeitsgruppen beschränkt ist, sondern sich systematisch durchzieht, zeigt sich auch daran, wie häufig Tagesordnungspunkte in nichtöffentliche Sitzungen verschoben werden – vielfach fälschlich und ohne zwingende gesetzliche Grundlage. Dies betrifft Ausschüsse ebenso wie Aufsichtsräte und Zweckverbände. Die Folge: Ein Austausch über Gremiengrenzen hinweg wird erschwert, Fraktionen verlieren an inhaltlicher Tiefe, Gespräche mit Fachleuten und Bürgerinnen werden unnötig verkompliziert. Am Ende steht ein Verfahren, das politische Kontrolle unterläuft – und politische Verantwortung verschleiert.
Dabei sind die Folgen dieser Verschiebung längst spürbar – und gravierend. Die zunehmende Nichtöffentlichkeit beeinträchtigt die Arbeit des Stadtrats substanziell: Der Austausch zwischen Gremien wird schwieriger, inhaltliche Diskussionen verlaufen fragmentiert, Gespräche mit Fachexperten werden erschwert. Selbst innerhalb der Fraktionen leidet der Informationsfluss, wie zu erfahren ist. Der politische Prozess verengt sich – und verliert an Qualität und Legitimität.
Erst fordern, dann vergessen
Vor gar nicht so langer Zeit forderte die CSU-Stadtratsfraktion in einer Pressemitteilung mehr Öffentlichkeit in der kompletten Arbeit des Stadtrats. Dies, als die SPD in dieser Amtsperiode noch den Oberbürgermeister stellte. Seit die Christsozialen das Stadtoberhaupt stellen, bleibt diese Forderung folgenlos – der alte Kurs wird unverändert fortgesetzt. Das wirkt wie politische Realsatire.
Die informellen Wege werden nicht nur praktiziert, sie werden auch offen verteidigt. Ein Ratsmitglied brachte diese Haltung gegenüber dem Nachrichtenportal O-T(h)öne auf den Punkt: „Man muss auch mal offen diskutieren können, ohne auf jedes Wort achten zu müssen – und ohne Öffentlichkeit.“ Diese Haltung ist bezeichnend. Sie bringt auf den Punkt, was sich in der politischen Praxis zunehmend zeigt: Öffentlichkeit wird nicht mehr als Voraussetzung demokratischer Kontrolle verstanden, sondern als Störgröße empfunden – etwas, das man besser umgeht, solange es geht.
Wenn aber der entscheidende Austausch in internen Gremien stattfindet, verlieren die öffentlichen Gremien ihre zentrale Funktion. Sie werden zur Absegnungsinstanz von Vorentscheidungen, zur Bühne für öffentlichkeitswirksame Zitate. Die politische Auseinandersetzung, das argumentative Ringen um Alternativen, findet dann längst woanders statt – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Kein Beiwerk, sondern Rückgrat
Zugleich wird Politik für viele undurchschaubar: Wann beraten wird und worüber – das bleibt oft im Dunkeln. Diese Entkopplung zwischen politischem Willensbildungsprozess und öffentlicher Wahrnehmung beschädigt das Vertrauen in die repräsentative Demokratie – auch auf kommunaler Ebene.
Hinzu kommt: Selbst innerhalb des Stadtrats wird die Zusammenarbeit durch die Intransparenz erschwert. Wenn die Kommunikation zwischen Fraktionen und zwischen Gremien stockt, leidet nicht nur die inhaltliche Qualität der Entscheidungen. Auch der Respekt für die parlamentarischen Spielregeln schwindet. Nicht selten erleben Mandatsträger, dass ihnen zentrale Informationen fehlen – oder erst dann vorliegen, wenn die Position bereits fixiert ist, wie berichtet wird. „Diese Form der Politik schafft ein Ungleichgewicht: Eine kleine Gruppe trifft die Entscheidungen – die Mehrheit soll sie später nur noch abnicken. Öffentlichkeit stört da nur. Doch demokratischer Streit ist kein Betriebsrisiko, sondern Voraussetzung für Legitimität.
Demokratie bröckelt, Sitzung für Sitzung
Was auf lokaler Ebene in Ingolstadt passiert, ist Teil eines größeren Musters. Dass solche Tendenzen keine Ingolstädter Eigenheit sind, sondern Teil eines globalen Trends, zeigt der jüngste Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung (BTI): Weltweit ist die Demokratiequalität in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich gesunken. Heute stehen nur noch 63 Demokratien einer Mehrheit von 74 Autokratien gegenüber. In fast einem Drittel der untersuchten Länder ist die politische Beteiligung auf einem Tiefstand angekommen. Entscheidend für eine demokratische Wende sind zivilgesellschaftliche Mobilisierung, unabhängige Medien – und ein politisches Klima, das Debatte nicht fürchtet, sondern ermöglicht.
Ingolstadt liegt nicht in einer Autokratie, sondern in einem demokratischen Rechtsstaat. Und in so einem beginnt Demokratie nicht erst im Parlament, sondern vor Ort – in der Kommune, im Stadtrat, in der Debatte. Sie lebt vom Streit, nicht vom Stillstand. Von Auseinandersetzung, nicht von Absprachen im Hinterzimmer. Öffentlichkeit ist dafür kein Beiwerk für Wahlkampfzeiten, wenn Macht auf Zeit verteilt wird – sondern das tragende Fundament.
Was sich derzeit in Ingolstadt abspielt, ist kein Versehen, sondern Methode. Entscheidungen werden vorbereitet, ohne dass öffentlich darüber gestritten wird. Selbst Stadtratsmitglieder wirken mit – nicht als Kontrollorgan, sondern als verlängerter Arm der Verwaltung. Wie die Vorlagen zustande kommen? Bleibt im Dunkeln.
Es ist an der Zeit, dass Oberbürgermeister Kern und die Mitglieder des Ingolstädter Stadtrats diese Entwicklung stoppen. Nicht, weil Transparenz ein wohlklingendes Ideal ist, das sich gut in Sonntagsreden vor Wahlen macht, um Macht auf Zeit übertragen zu bekommen – sondern weil sie das Rückgrat jeder funktionierenden Demokratie bildet. Wer Demokratie hinter verschlossenen Türen praktiziert, sägt an ihrem Fundament. Und wer glaubt, es werde schon nichts passieren, sollte nach Amerika blicken: Auch dort hat es nur wenige Monate gedauert, bis demokratische Regeln zur Verhandlungsmasse wurden. Demokratie bricht allerdings nicht schlagartig zusammen – sie bröckelt, Sitzung für Sitzung, für Sitzung.
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