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Kleinprovincia: Facebook-Launen gefährden die Demokratie

In Kleinprovincia, wo Selbstwichtigkeit gern als Haltung verkauft wird, reicht es schon, zwei Buchstaben zu streichen – und die Politik steht Kopf.

Ein Ratsmitglied der Partei B strich sie kurzerhand aus dem Wort „Faktencheck“. Aus dem „Faktencheck“ der Partei R wurde der „Fakecheck“. Ein Kalauer mit digitalem Bumerangeffekt.
Denn im selben Post nannte er zwei „große Vorbilder der alternativen Wahrheit“ beim Namen – Putin und Trump. Der Fraktionsführer der Partei R fühlte sich verunglimpft, beleidigt, fast schon verfolgt – als hätte man ihm die Grundrechte gestrichen. Und genau da – mitten im Streit um Zahlen – wurde aus einer Debatte plötzlich eine politische Affäre in Kleinprovincia.

Die Partei B hatte behauptet, unter der Herrschaft des damaligen Oberbürgermeisters der Partei R seien Hunderte neue Stellen geschaffen worden – eine kleine Armee aus Amtsleitern, Referenten und Projektbeauftragten. Die Partei R reagierte mit einer eigenen Aufrechnung, erklärte jede zweite Stelle zur Pflichtaufgabe und präsentierte sich als Wächterin der Effizienz. Zugleich verwies sie darauf, dass unter einem früheren Oberbürgermeister der Partei B sogar mehr neue Stellen geschaffen worden seien. Dann kam der Facebook-Post – und die Debatte kippte endgültig ins Moralisierende.

Der Fraktionsführer der Partei R sprach von einem „Vergleich mit einem Kriegsverbrecher“ und überlegte, die Justiz einzuschalten. Das Ratsmitglied der Partei B wiederum erklärte, er habe „niemanden als Kriegsverbrecher bezeichnet“ und sehe vor allem eins: Dünnhäutigkeit.
So begann aus einem Faktenstreit über Planstellen eine Empörungswelle, die Kleinprovincia erschütterte. In Kleinprovincia genügt inzwischen ein Facebook-Post, um den Notstand der Demokratie dort auszurufen – werktags bis 22 Uhr.

Vom Brückenbauer zum Brandmeister

Im Wahlkampf noch Brückenbauer mit Dauerlächeln, wurde der Fraktionsführer der Partei R pünktlich vor der zurückliegenden Stichwahl zum Angreifer: „Wer den neuen OB der Partei B wählt, bekommt den alten gleich doppelt – samt Bürgermeister.“ Die Brücke war weg, bevor sie jemand überqueren konnte. Seit der Niederlage wirkt der Fraktionsführer der Partei R, als suche er noch seine Rolle – nicht mehr Regierung, noch keine konstruktive Opposition.

Als die Parteien B und M eine Verschiebung der Referentenwahlen beantragten – wegen Sparzwang und Verwaltungsreform – und die Partei Z zeitgleich einen eigenen Antrag auf öffentliche Debatte stellte, erklärte der Fraktionsführer der Partei R das Ganze kurzerhand zur „Zusammenarbeit mit Rechts“. Ein Vorwurf mit großem Pathos, aber ohne Substanz. Denn weder hatten Parteien gemeinsame Sache gemacht, noch verfolgten sie dieselben Ziele. Es ging schlicht um Verfahrensfragen – kein Pakt, kein Plan, kein Schulterschluss. Doch in Kleinprovincia gilt: Empörung zuerst, Einordnung später.

Politik im Spiegelkabinett

Statt um Inhalte geht es oft um Zahlen. Statt um Verantwortung um Zuständigkeiten. Und manche Medien begleiten das Geschehen mit spürbarem Interesse – und schaffen es, aus einzelnen Facebook-Posts große Fragen über den Zustand der Demokratie zu entfalten.

Authentizität als Konzept

In Kleinprovincia hat die Authentizität bei dem einen oder anderen Kommunalpolitiker mittlerweile ein Kommunikationskonzept. Wer früher einfach Mensch war, ist heute Marke. Mal Familienmensch mit Kamera, mal Kämpfer für Werte – je nach Algorithmuslage. Es geht nicht mehr darum, wie jemand lebt, sondern wie er sich zeigt. Die Kulisse wird wichtiger als der Charakter, die Pose ersetzt die Haltung. Und das Publikum? Klickt brav auf „Gefällt mir“. Einige nennen das auch: Fake.

Mi, Mi, Mi – das Grundrauschen der Provinz

In Kleinprovincia wird das politische Klima inzwischen in Dezibel gemessen. Alle zusammen singen das gleiche Refrainlied. „Mi, Mi, Mi“ – das neue Stadtwappen, nur ohne Genehmigung der zuständigen Regierung.

Während in der Kommunalpolitik über Pflichtstellen und Befindlichkeiten gestritten wird, schrumpfen unten die Haushaltszahlen. Fehlbeträge im zweistelligen Millionenbereich, gestrichene Feste und verschobene Theaterträume. Die Bürger merken längst, dass das Leben in Kleinprovincia grauer, leerer und teurer wird. Aber wer hört ihnen noch zu, wenn im Stadtrat gerade die nächste Facebook-Schlacht tobt?

Schlussakkord – Realität, bitte melden

In Kleinprovincia nennt man das gelebte Demokratie: Die einen posten, die anderen klagen, und alle zusammen verwalten den Unterhaltungswert des Stillstands. Und während oben über Fakechecks, Putin-Anspielungen und verletzte Gefühle gestritten wird, merken unten die Menschen längst, dass es um anderes geht – um Schulen, Straßen, Zukunft. Was die Bürger wirklich bewegt? Dass der Wildpark am See geschlossen werden soll, weil die Stadt das Futter nicht mehr bezahlen kann.
Dass in der Adventszeit keine Weihnachtsbeleuchtung mehr aufblitzt, weil das Stromgeld fehlt.
Und dass vor dem halbfertigen Kunstmuseum, dessen Kostenrahmen sich inzwischen verdoppelt hat, eine Plastik aufgestellt werden soll – gespendet, jawohl! Nur die Platzgestaltung drumherum verschlingt fast 550.000 Euro. Aber keine Sorge: Dafür soll es Zuschüsse geben. Vielleicht.

Während die Politiker also weiter über Facebook-Posts und Befindlichkeiten debattieren, leuchtet Kleinprovincia im Dunkeln – kunstvoll, aber taub für die Sorgen der Bürger.

Und so freut sich am Ende vor allem eine Partei: die ganz rechts außen steht – und beim nächsten Mal nur noch den Stuhl besetzen muss, den andere freigeschrien haben.

Mi, Mi, Mi.

Fortsetzung folgt …

O-T(h)öne – wo Satire keine Warnweste braucht.

Hinweis: Diese Satire spielt in der fiktiven Stadt Kleinprovincia. Alle dargestellten Personen, Parteien und Ereignisse sind erfunden oder satirisch verfremdet. Falls sich jemand wiedererkennt, ist das Zufall – oder gesellschaftliche Trefferquote.

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