Anzeige

Kommentar: Warum die Regenbogenfahne mehr ist als Symbolpolitik

Von Thomas Thöne

In Ingolstadt weht wieder die Regenbogenfahne vor dem Alten Rathaus – als Zeichen gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit, gegen Ausgrenzung und für ein respektvolles Miteinander. Unterstützt wird diese Botschaft der Stadt zum IDAHOBIT (Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit) von der Stadtspitze und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Es ist ein starkes Signal – und ein notwendiges.

Doch gerade diese sichtbare Geste ruft Widerspruch hervor. In sozialen Netzwerken häufen sich abwehrende Kommentare: Von „übertriebener Show“ ist die Rede, von „Symbolpolitik“, die „Abwehrreflexe“ auslöse, bis hin zur Behauptung, die Regenbogenfahne sei ein „Zeichen der neuen Weltordnung“. Manch einer fragt spöttisch, ob es nicht wichtiger wäre, in „schwierigen Zeiten“ andere Themen zu setzen. Ein Nutzer fordert, lieber die Deutschlandfahne zu hissen – als wäre Vielfalt etwas, das man national überdecken müsste.

Solche Reaktionen sind aufschlussreich. Sie zeigen, dass es längst nicht mehr nur um eine Fahne geht – sondern um die Frage, wessen Rechte öffentlich sichtbar sein dürfen. Dass ausgerechnet eine symbolische Geste für Gleichberechtigung in Teilen der Gesellschaft als Provokation empfunden wird, sagt mehr über die Absender dieser Kritik aus als über das Symbol selbst. Wer die Sichtbarkeit marginalisierter Menschen als Bedrohung versteht, macht deutlich, wie nötig diese Sichtbarkeit ist.

Denn es geht hier nicht um eine modische Geste, sondern um ein Bekenntnis zu Grundwerten. Zur Menschenwürde. Zur Vielfalt. Zum Schutz all jener, die noch immer mit Vorurteilen, Ausgrenzung oder Hass leben müssen – auch in Ingolstadt.

Ich weiß, wovon ich spreche.

Noch vor wenigen Wochen war ich als Mitglied bei einem Verein in der Region Ingolstadt – ein Ort, an dem es eigentlich um Vertrauen, Miteinander und gemeinsame Ziele gehen sollte. Und doch musste ich dort erleben, wie eine anwesende Person offen gegen queere Menschen hetzte: Das Selbstbestimmungsgesetz wurde als Bedrohung dargestellt, transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen pauschal als Risiko am Arbeitsplatz bezeichnet – garniert mit Spott und entmenschlichenden Vergleichen. Ich war so erschüttert, dass ich den Ort verließ, ohne überhaupt zur eigentlichen Aktivität gekommen zu sein.

Was mir dort begegnete, war kein Einzelfall. Es spiegelt eine Denkweise wider, die zunehmend offen ausgesprochen wird – in Vereinen, am Stammtisch und eben auch auf Facebook. Doch diese Aussagen bleiben nicht folgenlos. Wer so redet, prägt ein Klima, in dem sich Menschen unsicher, unwillkommen oder gar in Gefahr fühlen. Gerade deshalb braucht es öffentlich sichtbare Zeichen der Solidarität – wie die Regenbogenfahne.

Besonders erschreckend ist die Doppelmoral, die sich innerhalb der AfD beobachten lässt. In einer Pressemitteilung verurteilt der Ingolstädter Stadtrat und Landtagsabgeordnete Oskar Lipp, zugleich Sprecher der örtlichen AfD-Stadtratsfraktion, das Hissen der Regenbogenfahne als Symbol einer angeblichen „Gender-Ideologie“. Als Vorbild nennt er die US-Regierung unter Donald Trump – eine Regierung, die queere Sichtbarkeit bewusst aus dem öffentlichen Raum verbannte.

Diese Ablehnung steht im auffälligen Kontrast zu führenden AfD-Personen auf Bundesebene. Parteichefin Alice Weidel lebt seit Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und zieht mit ihrer Lebensgefährtin zwei Kinder groß. Ohne Gleichstellungsrechte – ohne rechtlichen Schutz für queere Lebensgemeinschaften – wäre dieses Familienmodell gar nicht möglich. Dass Weidel privat von denselben Rechten profitiert, die ihre Partei politisch bekämpft, während Lipp gleichzeitig Symbole queerer Selbstbestimmung öffentlich angreift, ist mehr als nur widersprüchlich. Es ist zynisch.

Auch historisch ist die Regenbogenfahne nicht auf die heutige LGBTQ+-Bewegung beschränkt: Sie war immer wieder ein Zeichen des Aufstands gegen Unrecht – ob bei den Bauernaufständen im 16. Jahrhundert oder in Bürgerrechtsbewegungen weltweit. Die Farben stehen nicht für eine Lobby, sondern für ein Prinzip: Freiheit und Menschenwürde.

Und ja – auch in schwierigen Zeiten. Gerade dann. Wer meint, es gäbe „dringendere Themen“, übersieht, dass Rechte für Minderheiten nie bequem eingefordert werden können – und nie dann auf der Agenda stehen, wenn es der Mehrheit passt. Demokratie zeigt sich daran, wie wir mit jenen umgehen, die nicht dem vermeintlichen „Normalbild“ entsprechen.

Wer also heute fordert, die Regenbogenfahne durch die Deutschlandfahne zu ersetzen, verkennt: Es geht nicht um Entweder-oder. Wer Grundrechte achtet, kann und soll beides vertreten – nationale Symbole und Vielfalt. Denn beides gehört zu einem freiheitlichen Verfassungsstaat. Deutschland ist bunt – nicht trotz, sondern wegen seiner demokratischen Werte.

Die Regenbogenfahne weht nicht gegen jemanden. Sie weht für etwas: Für Respekt. Für Sichtbarkeit. Für Menschenwürde.

Und wer dabei stehen bleibt, von Symbolpolitik zu sprechen, hat den Kern nicht verstanden. Diese Fahne ist keine Provokation – sie ist ein Versprechen.

Sie möchten zu dieser Veröffentlichung mit dem Nachrichtenportal O-T(h)öne in Kontakt treten?

Wir freuen uns über Ihre E-Mail.

Diesen Beitrag teilen