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Die Entscheidung der Stadt Ingolstadt, einen bislang gesperrten Feldweg nahe dem Wasserwerk Buschletten wieder für den sogenannten Anliegerverkehr zu öffnen, hat eine Dynamik entfaltet, die in keinem Verhältnis zur geografischen Bedeutung der Strecke steht. Der Weg – abseits, schmal, teilweise unbefestigt – ist nur wenigen bekannt: Spaziergängern, Radfahrern, Anwohnern. Und doch wird er nun zum Symbol – nicht für verkehrspolitische Vernunft, sondern für ein grundsätzliches Unbehagen im Umgang mit öffentlichem Raum
Was zunächst wie eine rein technische Verwaltungsentscheidung daherkam, entwickelte sich binnen Stunden zu einer politisierten Debatte. Kaum war der Artikel samt Kommentar erschienen, verlagerte sich die Diskussion in die sozialen Netzwerke – nicht über die Maßnahme selbst, sondern über ihre Darstellung. Im Mittelpunkt stand bald weniger der Weg als das Medium: Wer berichtet warum – und mit welchem Ton?
Die Kommentarlage in den sozialen Netzwerken zeichnete ein deutliches Bild: Der Vorwurf, die Berichterstattung würde übertreiben, sei tendenziös oder gar parteiisch, fiel schnell. Von einem „Erholungsdeckmäntelchen“, das einigen wenigen Grundstücksanrainern nütze, war die Rede. Artikel und Kommentar wurden als überzogen, der Fokus als künstlich konstruiert bezeichnet. Manche sprachen gar von „journalistischer Schlagseite“.
Andere wiederum argumentierten, der betroffene Abschnitt spiele im Stadtbild keine Rolle. Es handle sich um einen Feldweg von wenigen hundert Metern, den niemand wirklich brauche. Wer Ruhe suche, könne den geteerten Norddamm nutzen – gebaut mit Steuergeldern, barrierefrei, breit. Die Argumentation zugunsten eines Erhalts der Sperrung? Für sie kaum nachvollziehbar.
Das Ganze im Denkmuster ein Eingriff in die Autonomie derer, die mit Hund oder Gehhilfe unterwegs sind – denn sie müssten künftig den schattenlosen Damm nutzen. Im Sommer ist der Asphalt dort für Hunde zu heiß, im Winter weder geräumt noch gestreut.
Wieder andere versuchten zu deeskalieren – sie warnten vor Übertreibung, mahnten gegenseitige Rücksichtnahme an und empfahlen eine sachlichere Einordnung. Dass die Stadtverwaltung hier „eingeknickt“ sei, sei ein überzogener Begriff. Vielmehr handle es sich um eine Güterabwägung – zwischen berechtigten Interessen, zugunsten der Autofahrer.
Gleichwohl bleibt die Entscheidung politisch nicht neutral. Denn während auf der Oberfläche über Fahrverbot und Spazierweg diskutiert wird, schwingt im Hintergrund ein infrastrukturelles Großprojekt mit, das einst stark polarisiert hatte: die vierte Donauquerung. Ein Tunnel unter Donau und Auwald, längst aus Finanzgründen nicht weiter verfolgt.
Dass sich ausgerechnet Markus Reichhart – ehemals im Landtag und Stadtrat – öffentlich zum Verwaltungsakt der Stadt äußerte, ist bemerkenswert. Reichhart, der den Weg als Ort angibt, an dem er „seine Ruhe“ finde, zeigte in seiner Kommentierung Unverständnis für die Aufregung. Die Nutzung durch Anlieger sei historisch gewachsen, gefeiert werde dort gelegentlich eben auch. Seine rhetorischen Fragen – ob es sich nicht eher um „veränderte Ansprüche“ oder „verletzte Befindlichkeiten“ handele – zeichnen ein bekanntes Bild: Wer sich beschwert, stellt sich an.
Reichharts Einlassungen wirken in diesem Zusammenhang weniger als eine Einzelmeinung als ein Echo vergangener Politik. Als langjähriger Politiker der FREIEN WÄHLER unterstützte er einst das Tunnelprojekt. Der Rückgriff auf das bayerische „Leben und leben lassen“ wirkt hier weniger als ein Zeichen liberaler Gelassenheit – sondern wie ein rhetorischer Schutzschild gegen unbequeme Debatten.
Der eigentliche Sachverhalt – die Öffnung eines Weges für den motorisierten Verkehr – ist so zur Nebensache geworden. Was die Diskussion offenbart, ist ein tiefes Missverhältnis zwischen Einzelinteressen und dem Anspruch auf öffentliche Teilhabe. Und nicht zuletzt: zwischen berechtigter Kritik und der Bereitschaft, Kritik als Angriff zu deuten.
Dass ausgerechnet ein unscheinbarer Weg in einer wenig beachteten Ecke der Stadt zum Gegenstand dieser Auseinandersetzung wurde, ist vielleicht kein Zufall. Es ist ein Ort ohne Kameraaufmerksamkeit, ohne touristischen Wert, ohne Prominenz. Aber vielleicht ist genau das sein Wert: Dass sich hier zeigt, was sonst oft unbemerkt bleibt. Wer gehört wird. Wer sich durchsetzt. Und wer sich zurückzieht.
Der Stadtrat entscheidet heute. Die Debatte darüber hat gerade erst begonnen.
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