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Von Thomas Thöne
Ein großflächiger Stromausfall legte jüngst Teile Spaniens und Portugals lahm. Nur wenige Tage später fällt in Deutschland der Digitalfunk für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste aus – das wichtigste Kommunikationssystem der Behörden mit Sicherheitsaufgaben. Zwei technische Störungen? Oder ein Hinweis auf eine größere Verwundbarkeit?
In einer Zeit, in der Strom, Kommunikation und Organisation nahezu vollständig digital funktionieren, sind solche Ausfälle mehr als nur Zwischenfälle. Sie betreffen die Basis unserer Sicherheit – und werfen die zentrale Frage auf: Wie anfällig ist Deutschland – und Europa – für gezielte Störungen lebenswichtiger Systeme?
Zwischen Technik und Taktik
Stromausfälle und Netzstörungen passieren. Sie können auf Überlastungen, Wartungsfehler oder Softwareprobleme zurückgehen. Doch die internationale Lage zwingt zu einem erweiterten Blick: Mit dem Krieg in der Ukraine, den Sabotagen an der Nordstream-Pipeline und immer häufiger werdenden Cyberangriffen auf Verwaltungen, Kliniken und Infrastrukturen wächst die Sorge vor hybriden Bedrohungen – also der gezielten Schwächung durch eine Kombination aus digitalen und physischen Angriffen.
Der BOS-Digitalfunk – das Funknetz von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten und THW – zählt zur kritischen Infrastruktur. Sein Ausfall bedeutet, dass Einsatzkräfte nicht mehr koordiniert werden können. Im Katastrophenfall könnte das fatale Folgen haben.
Was spricht für eine gezielte Störung?
Am 28. April fiel in Spanien großflächig der Strom aus. Nur wenige Tage später, am 6. Mai, kam es in Deutschland zu einem bundesweiten Ausfall des BOS-Digitalfunks. Beide Ereignisse können technisch begründet sein. Dennoch stellen sich sicherheitsorientierte Behörden, Fachleute und Forscher die Frage: Gibt es Zusammenhänge? Muster? Wiederholungen?
Eine vereinfachte, modellhafte Risikoabschätzung zeigt: Ein isolierter Stromausfall lässt sich mit etwa 70 % Wahrscheinlichkeit technisch erklären. Auch ein Funknetz-Ausfall kann durch interne Fehler verursacht werden. Doch bei mehreren kritischen Ausfällen in kurzer Zeit wächst die Wahrscheinlichkeit einer gezielten Störung – hypothetisch geschätzt auf bis zu 60 %.
Diese Einschätzung basiert auf Modellen der Sicherheitsforschung und ersetzt keine nachweisbare forensische Analyse. Aber sie verdeutlicht: Je mehr Systeme gleichzeitig betroffen sind, desto wahrscheinlicher ist eine übergreifende Ursache – sei es technischer, struktureller oder fremdgesteuerter Natur.
Besonders aufschlussreich: Obwohl die Balearen nicht direkt vom Stromausfall betroffen waren, kam es dort gleichzeitig zu massiven Ausfällen im Internet- und Telefonnetz. In Spanien wie auch in Deutschland zeigt sich, wie eng unsere kritischen Systeme heute miteinander verbunden – und damit störanfällig – geworden sind.
Ein Denkmodell: der „perfekte Angriff“
Um das Risiko zu verdeutlichen, hilft ein gedankliches Szenario: Ein gleichzeitiger Angriff auf Stromnetz, BOS-Digitalfunk, das Telefonnetz und mehrere Kliniken in Deutschland. Innerhalb weniger Minuten wären Notrufe blockiert, Einsatzkräfte voneinander abgeschnitten, medizinische Geräte ohne Strom, digitale Patientenakten nicht erreichbar. Die öffentliche Ordnung wäre massiv gefährdet.
Ein solches Szenario ist hypothetisch – aber aus Sicht der Sicherheitsforschung keineswegs unrealistisch. Gerade deshalb muss es ernst genommen und vorbereitet werden.
Was bedeutet das für Einsatzkräfte und Kliniken?
Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, Katastrophenschutz und auch Krankenhäuser müssen sich fragen: Wie bleiben wir handlungsfähig, wenn zentrale Systeme plötzlich nicht mehr funktionieren – ob durch technische Fehler oder gezielte Angriffe?
Leitstellen verfügen in vielen Regionen bereits über Notstromsysteme. Aber reichen die Kapazitäten für mehrtägige Krisen? Wird der Funkbetrieb auch ohne BOS-Netz aufrechterhalten? Viele Dienste testen inzwischen alternative Systeme: analoge Funkgeräte, Satellitenkommunikation, mobile Einsatzleitstellen.
Zudem muss Cybersicherheit verstärkt werden: Schulungen zum Erkennen von Phishing-Angriffen, sichere Passwortpraxis und klare Meldewege bei digitalen Vorfällen gehören ebenso dazu wie regelmäßige Härtetests – also kontrollierte Angriffe auf eigene Systeme, um Schwachstellen zu erkennen.
Krankenhäuser müssen sicherstellen, dass lebenswichtige Geräte weiterlaufen, auch wenn Strom oder IT ausfallen. Dazu gehören Notstromaggregate, Vorräte und klare Notfallpläne – regelmäßig geübt, nicht nur auf dem Papier.
Wer muss kooperieren?
Echte Resilienz entsteht nur durch Zusammenarbeit: BOS-Einheiten, Energieversorger, IT-Dienstleister, Telekommunikationsunternehmen, Krankenhausleitungen, Landesministerien und Bundesbehörden wie BSI und BBK müssen abgestimmte Notfallkonzepte entwickeln – gemeinsam, über Ressortgrenzen hinweg. Getrennte Zuständigkeiten dürfen nicht zur Hauptgefahr werden.
Sicherheit ist eine gemeinsame Aufgabe
Sicherheit ist kein Zufallsprodukt – sie entsteht durch Vorbereitung. Auf Bundesebene müssen das Innenministerium, das BSI und die Bundesnetzagentur Standards setzen und die Umsetzung fördern. Die Länder müssen Einsatzkräfte und Kliniken ausstatten. Die Kommunen sind verantwortlich für lokale Notfallplanung und Krisenreaktion.
Doch auch jeder Einzelne ist gefragt. Vorsorge beginnt bei uns selbst. Wer weiß, welche Notfallpläne in der eigenen Gemeinde gelten, wie man ohne Strom oder Mobilfunk kommuniziert, wer eine Taschenlampe, ein batteriebetriebenes Radio und ein paar Vorräte zuhause hat, ist im Ernstfall nicht nur sicherer – sondern kann auch anderen helfen.
Krisen treffen die Unvorbereiteten. Aber Vorsorge ist einfach, günstig – und wirksam. Sicherheit ist nicht mehr selbstverständlich. Aber sie ist machbar – wenn wir sie gemeinsam tragen.
Anmerkung: Der Autor war über viele Jahre ehrenamtlich als Einsatzleiter im Rettungsdienst sowie als Organisatorischer Leiter (OrgL) tätig. In politischer Funktion gehörte er lange Zeit einem Rettungszweckverband an. Darüber hinaus wirkte er in einem großen deutschen Krankenhaus mit über 3.500 Beschäftigten im Arbeitskreis „Kritische Infrastruktur“ mit.
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