Sozialer Ausgleich verliert an Wirkung

Eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass der soziale Ausgleich durch das deutsche Steuersystem und den Sozialstaat in den vergangenen Jahren schwächer geworden ist. Während staatliche Umverteilung weiterhin existiert, hat ihre Effektivität im Zeitverlauf abgenommen. Trotz jahrelangen Wirtschaftswachstums und niedriger Arbeitslosigkeit ist die Einkommensungleichheit gestiegen. Laut der Studie bewerten 60 Prozent der Erwerbspersonen die staatlichen Maßnahmen als unzureichend, während nur 15 Prozent explizit anderer Meinung sind.

Die Studie basiert auf zwei zentralen Datensätzen: einer Erwerbspersonenbefragung aus Dezember 2024 mit über 7000 Teilnehmern sowie dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), das seit 2010 Daten zur Einkommensentwicklung liefert. Die Befragung zeigt, dass vor allem Personen mit niedrigem Einkommen eine stärkere Rolle des Staates in der Umverteilung fordern. Mehr als die Hälfte spricht sich für eine bessere Unterstützung von Geringverdienern aus. Gleichzeitig lehnen viele eine Erhöhung von Steuern und Sozialabgaben ab. Eine Mehrheit der Befragten befürwortet jedoch eine stärkere Besteuerung von Vermögen sowie eine Anhebung des Spitzensteuersatzes.

Die Analyse der Einkommensentwicklung verdeutlicht die abnehmende Wirkung der Umverteilung. Im Jahr 2010 lagen 35 Prozent der Bevölkerung mit ihrem Markteinkommen unter der Armutsgrenze. Nach Steuern und Sozialtransfers sank dieser Anteil damals auf 14 Prozent. 2021 zeigte sich ein anderes Bild: Während der Anteil der von Armut bedrohten Personen vor Umverteilung mit 34 Prozent ähnlich hoch war, betrug er nach Umverteilung knapp 18 Prozent. Die Armutsquote wurde damit nur noch um 48 Prozent gesenkt, während sie 2010 noch um 59 Prozent reduziert wurde.

Auch der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit der Einkommen misst, zeigt eine zunehmende Spreizung. Während sich die Markteinkommen kaum verändert haben, hat die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen zugenommen. Studienautoren führen dies insbesondere auf eine abnehmende Wirkung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen zurück. So sind die Regelsätze des Arbeitslosengeldes II bis 2021 hinter der allgemeinen Lohnentwicklung zurückgeblieben. Auch die gesetzliche Rente trägt weniger zur Verringerung von Ungleichheit bei, was auf ein sinkendes Rentenniveau und fehlende Mindestsicherungen im Alter zurückzuführen sei.

Die Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch, weist darauf hin, dass der Trend der schwächeren Umverteilung wahrscheinlich auch nach 2021 anhält, da bisherige Maßnahmen wie die Einführung des Bürgergeldes den langfristigen Rückgang des sozialen Ausgleichs nicht ausgleichen könnten. Gleichzeitig spiele der Sozialabbau eine zentrale Rolle im politischen Diskurs. Die wachsende Angst vor sozialem Abstieg und wirtschaftlicher Unsicherheit sei mit einer zunehmenden Entfremdung von demokratischen Institutionen verbunden. Die Studienautoren betonen, dass eine stabile soziale Absicherung ein wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenhalts sei.

Quelle: Die Berichterstattung erfolgt unter Verwendung einer Pressemitteilung der ans-Böckler-Stiftung.

Sie möchten zu dieser Veröffentlichung mit dem Nachrichtenportal O-T(h)öne in Kontakt treten?

Wir freuen uns über Ihre E-Mail.

Diesen Beitrag teilen