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Sparen auf dem Rücken der Kinder

Die Schülerzahlen wachsen, der Schulraum aber schrumpft – zumindest im Etat. In Ingolstadt reagiert die Stadt nicht mit Neubauten, sondern mit Streichlisten. Der Stadtrat soll angesichts der desolaten kommunalen Finanzsituation ein umfassendes Sparpaket beschließen – vorbereitet hinter verschlossenen Türen, ohne öffentliche Debatte. Es geht um nichts weniger als die Zukunft der Schulpolitik.

Wohin mit den Kindern?

Container, Ausweichräume, Doppelbelegungen – in Ingolstadt wird Schulpolitik zunehmend zur Mangelverwaltung. Die Zahl der Schüler wächst. Die Zahl der verfügbaren Klassenräume – nicht. Was einst Wachstum bedeutete, wird jetzt zur Last.

Bis 2028 rechnet die Stadt mit fast 3.600 zusätzlichen Schülerinnen und Schülern. Besonders betroffen sind Realschulen und Gymnasien. 28 Klassen fehlen im Realschulbereich, rund 1.200 Plätze an Gymnasien. Die Zahlen stehen im neuen Schulentwicklungsbericht. Und sie stehen für ein Problem, das größer wird – während die Mittel kleiner werden.

30 Millionen weniger – pro Jahr

Die Stadtverwaltung schlägt ein umfassendes Konsolidierungsprogramm vor. Ziel: Investitionen im Hochbau um 30 Millionen Euro pro Jahr senken – bis 2028. Allein der schulische Bereich trägt 58 Prozent dieser Last. Der Stadtrat soll am 29. Juli entscheiden.

Der Plan ist detailliert. Der Modulbau für die Mittelschule Nord-Ost – gestrichen. Einsparung: 6,45 Millionen Euro. Die Realschule und Mittelschule am Rosnerareal – vorgezogen und zusammengelegt. Das Apian-Gymnasium – wird nicht mehr als Gesamtmaßnahme saniert, sondern in Etappen. Die Mittelschule Mitte-West – verschoben auf nach 2030. „Haus D“ am Brückenkopf – Planung wird gestoppt, 9,95 Millionen Euro weniger.

Die Idee: Vorziehen, wo es sinnvoll ist. Streichen, was sich nicht mehr rechnet. Und alles andere auf die Richtlinie bringen: 6.909 Euro pro Quadratmeter Schulfläche. Das ist der aktuelle Kostenrichtwert. Wer drüber liegt, bekommt keine Förderung. Also plant man drunter.
Das bedeutet auch: reduzieren, vereinheitlichen, funktionalisieren. Keine gestalterischen Sonderwünsche, keine pädagogischen Extras. Es gilt der Standard – nicht mehr, nicht weniger. Interimslösungen wie Container sind grundsätzlich nicht förderfähig – nur im Einzelfall nach Abstimmung mit der Bezirksregierung.

Rosnerareal als Schul-Knoten

Das Zentrum der neuen Strategie ist das Rosnerareal. Hier entsteht nicht nur eine neue Realschule. Auch eine neue Mittelschule ist geplant – gleich im Anschluss. Und: Das Katharinen-Gymnasium soll dort vorübergehend untergebracht werden. Eine Schule in der Schule – aus Kostengründen.
Die Vollauslagerung ist strategisch sinnvoll, sagt die Verwaltung. Sie spart Bauzeit. Und Geld. Aber sie bringt auch Risiken. Der Zeitplan hängt am Abriss bestehender Gebäude. Die Planungen sind vorläufig. Ob der Zeitplan hält, ist ungewiss – der Umzug betrifft den gesamten Schulalltag. Lehrpläne, Schulidentität, Schülerverkehr – alles wird verschoben.
Von einer „temporären Lösung“ ist in internen Papieren die Rede – doch wie lang dieses „temporär“ dauert, bleibt offen.

Verhandelt wurde wieder einmal im Verborgenen

Der Weg zu diesen Planungen verlief – wie so oft in Ingolstadt – nicht durch die öffentlichen Gremien. Stattdessen wurde die Bauinvestitionsstrategie in zwei Sitzungen eines interfraktionellen Arbeitskreises vorberaten – ohne Öffentlichkeit, ohne Presse, ohne Protokoll. Die Stadt bestätigte diesen Ablauf: „Dieser Themenkomplex wurde in zwei Sitzungen des Interfraktionellen Arbeitskreises intensiv vorbesprochen.“

Solche Verfahren haben in Ingolstadt mittlerweile System. Immer mehr Entscheidungen werden abseits des Plenarsaals vorbereitet – in internen Runden, die demokratischer Kontrolle entzogen sind. Die Beschlussvorlagen entstehen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Debatte beginnt erst, wenn die Richtung längst feststeht. Kritik an dieser Praxis gibt es seit Jahren – geändert hat sich wenig.

Auch bei den Kürzungen der freiwilligen Leistungen zeigt sich dieses Muster. Bereits im Frühjahr wurde in nichtöffentlicher Sitzung eine Streichliste vorberaten – ebenfalls in einem interfraktionellen Arbeitskreis. Die Ausschussgemeinschaft aus ÖDP und DIE LINKE stellte daraufhin einen Dringlichkeitsantrag und warnte in einer Pressemitteilung vor Einschnitten in Kultur, Bildung und Soziales. Stattdessen forderten sie eine moderate Erhöhung der Grundsteuer B. Eine Mehrheit fand sich dafür bislang nicht.

Auf Nachfrage des Nachrichtenportals O-T(h)öne bestätigte ÖDP-Stadtrat Fred Over die Existenz der Liste, verwies jedoch auf deren Geheimhaltung. Auch der Verweis auf die Bayerische Gemeindeordnung – Öffentlichkeit sei Regelfall – führte zu keiner Klarstellung. Erst nach weiterer Nachfrage räumte ÖDP-Sprecher Raimund Köstler ein, man habe die Frage nach öffentlicher Behandlung bisher nicht diskutiert. Auch aus den übrigen Fraktionen: kein Antrag, kein Widerspruch.

Politisch ist dieses Vorgehen längst ein Signal: Grundlegende Entscheidungen mit weitreichenden Folgen werden nicht mehr öffentlich verhandelt – sondern intern vorgezeichnet. Das untergräbt Vertrauen – und verschiebt Verantwortung in informelle Zirkel. Dass bislang kein Antrag auf öffentliche Beratung gestellt wurde – weder von den Fraktionen noch von Einzelstadträten – ist Ausdruck einer politischen Kultur, die Transparenz nicht als Voraussetzung, sondern als Störfaktor begreift. Besonders irritierend: Selbst die Initiatoren des Dringlichkeitsantrags, die öffentlich vor Einschnitten warnten, hinterfragten die Geheimhaltung der Liste nicht innerhalb ihrer eigenen Gruppe.

Ein echtes demokratisches Ringen um Alternativen – etwa über Prioritäten, Beteiligung oder gerechte Lastenverteilung – hat bislang nicht stattgefunden. Offen bleibt, ob die angekündigte Ausschussberatung mehr ist als ein Pflichttermin – oder lediglich die letzte Station auf dem Weg zur formellen Absegnung längst gefällter Entscheidungen im Stadtrat.

Risiken auf dem Weg

Die Verwaltung rechnet vor: Das Konsolidierungsziel von 26 Millionen Euro wird mit den aktuellen Maßnahmen fast erreicht – aber eben nur fast. Im Jahr 2026 liegt der Erfüllungsgrad laut interner Berechnung bei nur 36 Prozent. Die Finanzierung bleibt angespannt. Und neue Probleme sind programmiert.

Interimsräume sind begrenzt verfügbar. Mehrere Standorte – etwa an der Ickstattstraße oder bei der Lessingschule – sind bereits in Doppelbelegung. Die Verlagerung der Pestalozzischule in ein Nachbargebäude ist ebenfalls nur eine Zwischenlösung. Zudem bleibt offen, ob alle Baupläne tatsächlich kostengerecht umgesetzt werden können. Die Einhaltung der Richtwerte ist ambitioniert – und in Zeiten steigender Baupreise ein Risiko für sich.

Kinder und Schulen ohne Stimme?

Bemerkenswert: Die gesamte Neustrukturierung – inklusive Schulentwicklungsbericht, Standortverlagerung und Sparprogramm – erfolgt ohne Bürgerbeteiligung. In der Vorlage steht der Satz schlicht: „Bürgerbeteiligung: Nein.“ Eltern, Lehrkräfte, Schulgemeinschaften wurden offenbar nicht einbezogen. Für eine Pflichtaufgabe, die das gesamte Bildungswesen der Stadt betrifft, ist das mehr als eine Randnotiz. Es ist ein politisches Signal.

Pflicht mit Einschränkung

Schulbau ist eine Pflichtaufgabe. Das steht so im Bayerischen Schulfinanzierungsgesetz. Doch wie eine Stadt diese Pflicht erfüllt, hängt zunehmend vom Haushalt ab. Die Verwaltung konzentriert sich auf das Notwendige. Alles andere – ob Zweckverbandsgymnasium, pädagogische Reserveflächen oder Experimentalschulformen – gilt als freiwillig. Und fällt damit weg. Was bleibt, ist eine Schulplanung auf Kante – funktional, förderfähig, verwundbar.

Was auf dem Spiel steht

In Ingolstadt entscheidet sich Ende Juli nicht nur, welche Schule gebaut wird. Sondern, wie Schule künftig gebaut wird: als langfristiger Bildungsort – oder als kurzfristige Pflichtaufgabe mit Standardausstattung.

Der Schulbau in Ingolstadt wird nicht mehr gestaltet. Er wird abgearbeitet. Wie unter Zeitdruck abgespulte Pflichtübungen: technokratisch. Beteiligungsfrei. Reduziert aufs Minimum.
Was als Sparmaßnahme beginnt, endet als Demokratieverlust: Der Preis für kurzfristige Effizienz ist langfristige Entfremdung.

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