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Ein Kommentar von Thomas Thöne
Ingolstadt, eine Stadt im Ausnahmezustand. Nicht wegen irgendeiner Katastrophe – sondern weil der Stadtrat sich seit Jahren an einem verzweifelten Schauspiel abarbeitet: Man spielt Politik. Und zwar exakt so, wie es Hans Christian Andersen in „Des Kaisers neue Kleider“ beschrieben hat: Wer genauer hinsieht, erkennt, dass der Kaiser längst splitterfasernackt ist. Nur sagen tut’s keiner – jedenfalls nicht die Stadtratsmitglieder. Noch nicht.
Stattdessen inszeniert sich der Stadtrat in ritualisierten Abstimmungen. Rituale der Zustimmung ohne echte inhaltliche Debatte oder politische Alternativen. Während draußen die Gesellschaft vielfältiger, demokratischer und offener wird, bleibt es im Stadtrat erstaunlich still. Die repräsentative Demokratie bildet hier nicht den lebendigen Pluralismus der Stadtgesellschaft ab, sondern folgt dem eigenen Harmoniebedarf.
Wie grotesk diese Fassadenpolitik ist, zeigt sich an vielen Stellen. Der Stadtrat genehmigt 446.000 Euro für die Gestaltung eines Vorplatzes am Museum für Konkrete Kunst und Design. Die Skulptur darauf von einem Freundeskreis gespendet. Die Stadt muss dafür jährlich 10.000 Euro Folgekosten stemmen. Sehr zeitnah darauf wurden drastische Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen beschlossen: Zuschüsse für Jugendprojekte, Kulturinitiativen, soziale Einrichtungen – alles wird zusammengestrichen. Die Konsequenzen: spürbar und tiefgreifend, bis hin zu Einschnitten bei Angeboten, Schließungen oder Personalabbau.
Ingolstadt hat es mit dem Museum für Konkrete Kunst und Design zudem in das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler geschafft: Bauzeit verlängert, Kosten explodiert, mittlerweile fast verdoppelt auf 58,7 Millionen Euro – und die tatsächlichen Fertigstellungskosten sind weiterhin nicht absehbar. Überraschung! Archäologische Funde und schwieriger Baugrund wurden ins Feld geführt – Aspekte, die in jeder Planung vorhersehbar hätten sein müssen.
Echte Aufarbeitung? Fehlanzeige. Stattdessen Ritualpolitik, Wohlfühlkandidaten und Kuschelkonsens – selbst bei der Oberbürgermeisterwahl. Nur 49,1 Prozent Wahlbeteiligung – ein Armutszeugnis. Und inhaltlich? Keine klare Linie, keine Debatte, kein Ringen um die beste Lösung. Politik wird hier zu einem Schaulaufen ohne echte Substanz.
Wer wagt es in Ingolstadt eigentlich noch, die Dinge beim Namen zu nennen? Als in der Amtszeit dieses Stadtrats zwei große Bürgerbegehren – gegen die Kammerspiele an der Schutterstraße und gegen eine Mittelschule im Grünring – mit 60,2 % bzw. 58,4 % deutliche Voten lieferten, wurde klar: Der Stadtrat ist weit von den Bürgerinnen und Bürgern entfernt. Statt innezuhalten und das Verhältnis zur Bürgerschaft zu überdenken, macht man einfach weiter wie bisher.
Auch rund um die geplante Fusion der kommunalen Kliniken zeigt sich: keine Beteiligung der Gewerkschaft, keine Mitsprache der Beschäftigten. Selbst Medien wurden bei der Vorstellung des Klinikgutachtens in Stadttheater ausgeschlossen – Demokratie im Modus „Verkündung“, nicht im Modus „Diskussion“.
Der Stadtrat verhält sich längst wie ein abgeschirmter Zirkel, der in nicht öffentlichen Sitzungen, Arbeitskreisen und dem Ältestenrat Entscheidungen trifft und Kritik und Dissens lieber mit Harmonie innerhalb des Rates beantwortet als mit offener Auseinandersetzung. Es sind ja im April nächsten Jahres wieder Kommunalwahlen – und man möchte wiedergewählt werden, also nur nicht auffallen.
Besonders absurd: Während echte Mitsprache verweigert wird, gönnt man sich selbst Ritterschläge. Christian Scharpf wird der Titel „Alt-Oberbürgermeister“ verliehen – nach nicht einmal einer vollen Amtszeit, die er vorzeitig abbrach, um als Wirtschaftsreferent nach München zu wechseln. Auch an seinen Vorgänger wurde der Titel nach nur einer Amtszeit vergeben. Ebenso wurden in der Vergangenheit frühere Bürgermeister zu Alt-Bürgermeistern ernannt, ohne die Maßstäbe einer außergewöhnlich langen Amtszeit oder besonderer Verdienste anzulegen. Ein Automatismus, der mit echter demokratischer Würdigung wenig zu tun hat und die Ehrung, auch für künftige verdiente Personen, mehr als schmälert.
Dass eine offene Gesellschaft Vielfalt und verschiedene Perspektiven braucht, ist unbestritten – und diese Vielfalt muss sich endlich auch in den öffentlichen Debatten des Stadtrats widerspiegeln. Stattdessen verengt sich das politische Geschehen auf bloße Abstimmungsrituale, während Kritik und Dissens lieber mit Harmonie innerhalb des Rates beantwortet werden als mit offener Auseinandersetzung.
Ingolstadt braucht dringend Stadträte, die sich wieder daran erinnern, wem sie verpflichtet sind: den Bürgerinnen und Bürgern, nicht sich selbst. Die sich nicht von des Kaisers neuen Kleidern blenden lassen, sondern klar benennen, was falsch läuft. Andernfalls könnten noch mehr Wählerinnen und Wähler der Urne fernbleiben – oder es zieht der politische Rattenfänger von Hameln durch Ingolstadt.
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