Anzeige

Stiftung Heilig-Geist-Spital: Ein unendliches Trauerspiel oder wie verliert der Stadtrat seine politische Glaubwürdigkeit

Stiftung Heilig-Geist-Spital: Ein unendliches Trauerspiel oder wie verliert der Stadtrat seine politische Glaubwürdigkeit

O-T(h)öne gibt Fraktionen und Gruppierungen im Ingolstädter Stadtrat, sowie ausgewählten Personen des gesellschaftlichen Lebens und aus dem journalistischen Bereich, in der Rubrik "Aus fremder Feder", die Möglichkeit eines Gastkommentars zur Ingolstädter Kommunalpolitik. Das Thema ist durch den Gastkommentator frei wählbar, ebenso die Länge des Textes. Die Veröffentlichung erfolgt nicht redigiert und ungekürzt. Die Verantwortung für den Inhalt trägt allein der Verfasser des Gastkommentars.

Gastkommentar von Bernd Rachner

"Das Grundstück ist natürlich ein Traum. Tief im Glacis gelegen, mit Panoramablick auf die Altstadt (sofern man über die eher bedingt pittoreske Containersiedlung der Stadtreinigung im Ensemble hinwegsieht). Für so eine Lage im Baumring um die Altstadt würde man heute keine Baugenehmigung mehr erhalten. Hier könnte "eines der schönsten Altenheime in Bayern entstehen", wie Stadtrat und Stiftungsrat Markus Reichhart (FW) es sich ausmalt." (DK vom 26.02.2019). Aber jetzt soll alles anders werden.

Heureka, so könnte der Ausruf der Stadtratsmitglieder am 27.02.2019 geklungen haben. Man hatte zwar nicht das Archimedische Prinzip neu entdeckt, sondern eine Lösung für die Misere der Heilig-Geist-Stiftung gefunden. Bereits seit 2014 erzeugte die Finanzlage der Stiftung Kopfschmerzen bei den zuständigen Stiftungsverwaltern. Das Technische Rathaus und das Pflegeheim in der Fechtgasse fraßen die Finanzmittel auf. Bereits vorher wurde der Stiftung durch das neu gebaute Anna Ponschab Haus ein millionenschwerer Betrag entzogen.
Der damalige Oberbürgermeister Dr. Christian Lösel verwies in der Sitzung darauf, dass jeder Monat Verzug die Stiftung mit ca. 70 000 Euro belastet. Herr Reichhart, Stadtrat und Mitglied des Stiftungsrates sprach sogar von einer drohenden Insolvenz und die Übernahme der Stiftung bei der selbigen durch einen Wirtschaftsprüfer, das Heft des Handelns aus der Hand genommen zu werden.

Der OB brachte als sofortige Maßnahme das Grundstück an der Jahnstraße ins Spiel. Dies war überraschend frei geworden, da das Deutsche Jugendherbergswerk seine Option dafür zurückgezogen hat. Die Stadtbaurätin Frau Preßlein-Lehle berichtete, dass das Gelände bereits 2014 für den Bau einer Jugendherberge ausführlich untersucht worden war und einer sofortigen Bebauung nichts im Wege steht. Weiterhin wies Sie darauf hin, dass die Fläche bereits als Gemeinbedarfsfläche ausgewiesen ist. Für die Jugendherberge war ein Baufeld von 5000 m² vorgesehen mit einer Bruttogeschossfläche (BGF) von 10.000 m². Auch sei der Stadtbaurätin bewusst, dass die Stiftung eine Fläche (BGF) von ca. 13.000 m² und ein Baufeld von 6.000 m² benötigen wird, bei einer Grundstücksgröße von 7.000 m². Der Umfang an der Fechtgasse beträgt 8.000 m² BGF. Eine doppelte Nutzung aus Pflegeheim und Mehrgenerationenhaus, so wie von einer Fraktion gefordert, sei an diesem Platz nicht zu realisieren.

In der weiteren Diskussion wurde durch die Stadtratsfraktion der SPD eindeutig das Votum für die Jahnstraße gegeben, da ein wesentlicher Punkt der Forderung an ein neues Pflegeheim, die Nähe zum Zentrum erfüllt werde. Weiter führte die Fraktion aus, dass die Fechtgasse, mitten in der Altstadt der bessere Standort als die Jahnstraße ist, aber bis 2030 ein starker Anstieg (ca. 20 %, Quelle: Sozialpolitisches Gesamtkonzept der Stadt Ingolstadt von 2019) an Altenheimplätzen erfolgen werde. Daraus resultierend, dass in der Stadt weitere Altenheime zu bauen sind, aber auch die Fechtgasse unter neuer Trägerschaft fortzuführen ist. Dr. Böhm sprach die Alterspyramide an und dass ein riesiges Problem auf die Stadt zukommt, insbesondere durch das angekündigte Recht auf einen Pflegeplatz durch die bayerische Staatsregierung (2018).

Die Stadtratsfraktion der Grünen signalisierte durch die Stadträtin Frau Petra Kleine ebenfalls die Unterstützung, hatte aber den Einwand, ob die zukünftigen und jetzigen Bewohner den neuen Standort als innenstadtnah ansehen.

Stadträtin Frau Deneke-Stoll unterstützt die Aussage von Herrn 3. Bürgermeister Sepp Mißlbeck, dass es in der Sitzung rein um eine Standortentscheidung geht und sie findet, dass diese Entscheidung für die Jahnstraße eine sehr gute ist, da innenstadtnah und trotzdem in der Nähe der Grünanlage. Einkaufsmöglichkeiten und Parkplätze seien ebenso vorhanden. Sollte dort ein schönes, zukunftsfähiges Pflegeheim errichtet werden, könne dies rückblickend als Gewinn für unsere Stadtgesellschaft sein.

Dies nur ein paar Auszüge des Sitzungsprotokolls vom 27.02.2019. Der Vorschlag wurde mehrheitlich mit einer Gegenstimme angenommen. Damit war beschlossen, der Stiftung, vertreten durch den Stiftungsrat und dem Stiftungsvorstand das Grundstück anzubieten, als Ersatzneubau für das Pflegeheim an der Fechtgasse.

Bereits am Vormittag vom 27.02.2019 hatte der Stiftungsrat beschlossen, bei einer positiven Entscheidung eine Machbarkeitsstudie für den Neubau in Auftrag zu geben und das Nutzungskonzept der Diakonie Stinnestraße (jetzt Dietrich-Bonhöffer-Haus) als grundsätzliche Orientierung zu nehmen.

Der Umfang des Hauses der Diakonie beträgt 26 seniorengerechte Mietwohnungen, 3 Wohnbereiche mit je drei Gruppen und 15; 1* 16 Bewohner pro Gruppe,   gesamt 136 Bewohner und Tagespflegeplätze. Dieser Umfang dürfte zum damaligen Zeitpunkt auch innerhalb der Stadtspitze bekannt gewesen sein.

"Akerueh" heißt es plötzlich, das Archimedische Prinzip bzw. das Angebot an die Stiftung soll zurückgenommen werden. So taucht dies zum ersten Mal in einer Veröffentlichung des Donaukuriers als Bericht zum Ausschuss für Stadtentwicklung vom 24.04. 2021 auf. Oberbürgermeister Dr. Christian Scharpf, ein Verfechter des Innenstadtstandortes hatte Einblick in die Pläne der Stiftung und empfand diese städtebaulich nicht tragbar, da es zu groß wird und die Altstadt erschlägt. Nur, wenn der Betrachter der Altstadt sich umdreht, wird er das neue Gebäude sehen. Auch stellte er die Frage, ob in der Innenstadt ein zweites Altenheim an der Jahnstraße entstehen muss. Als Vorsitzender des Stiftungsrates dürfte dem OB jedoch die Planung schon länger bekannt sein, dass an der Jahnstraße eine Pflegeeinrichtung entsteht und nach Fertigstellung dieser, die Bewohner der Fechtgasse aufnimmt, da diese in eine Wohnanlage für rüstige Senioren mit einer Pflegeabteilung (Größe unbekannt) umgebaut wird. Dass dies in einer zeitlichen Abfolge passiert und die Bewohner erst nach der Fertigstellung des Neubaus verlegt werden können, dürfte jedem bewusst sein.

Ein neuer Standortvorschlag von Seiten des OB präferiert den Nord-Osten der Stadt. Auf dem Gelände von IN-Quartier, ehemals Rietergelände, ist eine Pflegeeinrichtung geplant. Ist der Oberbürgermeister schlecht informiert oder verschweigt er bewusst, dass dort bereits ein gemeinnütziger Träger in Verhandlung mit der Gerch-Group steht?

Dies was der Zeitpunkt sich mit der Vorlage näher zu beschäftigen und zwar im Vergleich zum Beschluss des Stadtrates vom 27.02.2019.

Viele offene Fragen, aber auch die Bitte des Stiftungsrates vom 27.02.2021 an die Stadt Ingolstadt, der Heilig-Geist-Stiftung eine definitive Aussage zur möglichen Bebauung des Grundstückes an der Jahnstraße zu geben und ergänzend hierzu, noch Alternativstandorte zur Jahnstraße anzubieten. Eine Machbarkeitsstudie war bereits 2020 vorgelegt worden und zur weiteren Anpassung an den Stiftungsrat zurückgegeben worden.

Die Vorlage zur Sitzung lehnt den Verkauf des Grundstückes an der Jahnstraße nun ab. Es sei städtebaulich nicht vertretbar, vergleicht man den Beitrag der Stadtbaurätin Frau Preßlein-Lehle mit dem von 2019, stellt man marginale Veränderungen fest. Sprach man 2019 von 7.000 m² Grundstücksfläche sind es jetzt plötzlich 5.000 m² geworden und damit eine zu erwartende Bruttogeschoßfläche von 9.300 m² bis 11.300 m² nicht realisierbar. Hat man hier das Baufeld mit der Grundstücksfläche bewusst verwechselt. Einem Profi dürfte dies nicht passieren. Auch die damalige BGF wurde verkleinert.

Weiterhin werden der Stiftung fünf Grundstücke als mögliche Option aufgezeigt. Da die Stiftung eine rechtlich selbständige Stiftung ist, ist es der Stadt Ingolstadt nicht möglich als Vermittler aufzutreten. Bis auf ein Grundstück sind alle in privater Hand, auffällig ist auch, dass ein Grundstück im Portfolio auftaucht, das als Freifläche 2. Grünring im Flächennutzungsplan dargestellt ist. Die angebotenen Flächen sind in der Masse nicht sofort zu bebauen, sondern, es müssen umfangreiche Änderungen im Flächennutzungsplan oder Bebauungsplan durchgeführt werden. Auch die Kaufverhandlungen mit den privaten Besitzern erschweren die rasche Umsetzung einer weiteren Pflegeeinrichtung und bringen die Stiftung in Konkurrenz mit privaten Investoren.

Mag der städtebauliche Anblick, "Erschlagen der Altstadt" so der OB, eine architektonische Frage sein, da die Bruttogeschoßfläche annähernd gleich bleibt wird diese sicherlich mit einem guten Architekten zu lösen sein. Nur eine der wesentlichen Fragen an den sozialdemokratischen Oberbürgermeister dürfte sein, ob ein baureifes Grundstück nicht das bevorstehende Altenheimplatzdefizit rascher zur Entspannung führt, als das jetzt, in einem umfangreichen Planungsneubeginn vom Ackerland bis zur bestehenden Pflegeeinrichtung begonnen werden muss.

Es müssten auch alle sozial eingestellte Menschen auf die Barrikaden gehen, wenn man in der Vorlage folgende Aussage findet: "Personen, die angesichts ihrer körperlichen Verfassung die Vorteile eines Standortes in der Altstadt persönlich nicht mehr nutzen können, könnten eine neuerrichtete und attraktive Einrichtung der Stiftung auch außerhalb der Innenstadt beziehen."

Vielleicht können diese Menschen den Charme und die Tradition eines Pflegeheims nicht mehr nutzen, aber da die Pflege und die körperliche Beeinträchtigungen sehr vielschichtig sind, nimmt man diesen Menschen eine mögliche Teilnahme am öffentlichen Leben. Pflegegrad vier oder fünf kann die unterschiedlichsten Ursachen beinhalten und auf Teilbereiche des Menschen Auswirkung haben, aber auch Möglichkeiten der Kompensierung der Beeinträchtigung gibt es.

So kann ein Mensch mit einer Querschnittslähmung  sehr wohl mit einem Rollstuhlschieber als Angehöriger die Innenstadt besuchen oder ein Mensch mit Demenz wieder sein persönliches Umfeld in der Altstadt aufsuchen, um im Dunkeln seiner Erinnerung zu schwelgen und trotzdem seinen Lebensabend in einer Pflegeeinrichtung verbringen zu müssen. Genau das, was in der modernen Altenpflege eine Rolle spielen wird, die Inklusion wird hier mit Füßen getreten.

Es wird keine zwei Pflegeeinrichtungen in der Innenstadt geben, es werden eine Wohnanlage für rüstige Senioren mit einer Pflegeabteilung und ein Ersatz für die jetzige Fechtgasse als Pflegeheim mit vielleicht angeschlossener Seniorenwohnmöglichkeit geschaffen werden.

Angesichts eines monatlichen Defizits von 70.000 €, Stand Februar 2019, hat alleine die zögerliche, von wem auch immer verursacht, der Stiftung geschätzt 1,9 Millionen Euro gekostet, ganz zu schweigen von der Baukostensteigerung von rund 5% bei einer im zweifachen Millionenbetrag stehenden Bausumme.

Es ergeben sich offene Fragen. Was hat die Stiftung in seiner mehr als 700-jährigen Existenz der Stadt angetan, dass sie so abgestraft wird? Warum kann man keine Kompromisse machen, suchen oder finden, liegt es an den Personen, die in Führungsverantwortung der Stadt und Stiftung stehen? Kann der Stadtrat angesichts seiner Entscheidung vom Februar 2019 bei einer Rücknahme des Beschlusses seine politische Glaubwürdigkeit behalten, wenn die Entscheidungsträger von damals plötzlich unter marginal veränderten Voraussetzungen anders entscheiden?

Steht das S in manchen Parteinahmen für sozial oder ist es nur schmückendes Beiwerk? Wie können die Ausschussmitglieder der Grünen Fraktion zulassen, dass wieder einmal ein Grundstück angeboten wird, das als Freifläche für den zweiten Grünring dargestellt wird?

Es bleibt zu hoffen, dass der Stadtrat am 11.05.2021 der Vorlage nicht zustimmt und nun rasch in die Umsetzung gegangen wird und die Worte von Frau Preßlein-Lehle vom 27.02.2019 Wirklichkeit werden: "Es sei für ein Seniorenheim "sehr geeignet" und biete überdies den Vorteil, "dass Baurecht besteht - man kann also sofort mit dem Planen anfangen", so die Stadtbaurätin. "Es ist wegen der Rahmenbedingungen aber kein einfacher Standort." So sei die "Ordnung des Vorfelds" nötig. "Man kann so ein Gebäude nicht über einen Parkplatz erschließen." Man rechne mit einer Gesamtgrundfläche von ca. 8000 Quadratmetern und gehe von einer Bruttogeschossfläche von 13.000 Quadratmetern aus, "aber das ist keine Festlegung". (DONAUKUIER Ingolstadt vom 27.02.2019)"

Oder will man nur eine Optionsfläche für eine der schönsten Kammerspiele in Bayern haben, wenn der jetzige, geplante Standort nicht realisierbar wird?

Anzeige

Datenschutz

Diese Webseite verwendet Cookies. Einige Funktionen (z.B. eingebundene Videos) können ohne den Einsatz dieser Cookies nicht angeboten werden.

Weitere Infos zum Datenschutz