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Wildgehege am Baggersee weg – Kunstmuseum übernimmt

Statt Natur zum Anfassen setzt Kleinprovincia auf Beton zum Bestaunen: Das Tiergehege wird gestrichen, das Museum wächst weiter. Sparen heißt hier nicht verzichten, sondern verlagern – vom Wildgehege an der frischen Luft in den Weißraum mit Eintrittskarte.

In Kleinprovincia ist man wieder einmal stolz auf sein politisches Handwerk. Eine eigens gebildete Arbeitsgruppe aus Oberbürgermeister, Verwaltung und handverlesenen Stadtratsmitgliedern hat unter Ausschluss der Öffentlichkeit – mit ernstem Blick und schwerem Herzen, versteht sich – eine Verwaltungsvorlage zur Rettung der Stadtfinanzen erarbeitet, die demnächst vom Stadtrat „abgenickt“ werden soll. Ein Ergebnis dieser großen „Findung“: Das Tiergehege am Baggersee soll geschlossen werden. Rotwild, Wildschweine, Wisent, Damwild und Mufflon – sie alle stehen nicht mehr als Naturerlebnis, sondern als Sparposten in einer Tabelle. 75.000 Euro pro Jahr möchte man streichen. Der Rotstift frisst Heu, weil Tiere ja offenbar zu teuer atmen.

Während also am Baggersee bald nur noch Schilder, aber keine Tiere mehr stehen, zeigt Kleinprovincia gleichzeitig, wofür in dieser Stadt weiterhin Platz, Geld und Pathos vorhanden ist: für das MKKD – das Museum für Konkrete Kunst und Design. Ein Prestigeprojekt, das es mit inzwischen 58,7 Millionen Euro Baukosten sogar in das Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes geschafft hat. Die tatsächlichen Kosten nach Fertigstellung? Ein Überraschungsei – man kennt den Preis nicht, weiß aber sicher: Die böse Überraschung liegt im Inneren. Kinder, die zuvor am Gehegezaun Natur erlebt haben, dürfen künftig für Eintritt ins MKKD einziehen – um dort ehrfürchtig weiße Wände zu betrachten, ganz ohne Rotwildgeruch, aber mit Kassenbon.

Vielleicht findet sich ja sogar ein Künstler der „modernen Schule“, der den einstigen Tierbestand als Kunstprojekt nachbildet – Rotwild in Draht, Wildschwein in Beton, Wisent aus Kupferrohren, Damwild als Schattenriss und das Mufflon als rostige Spirale. Kostenlos natürlich, Kleinprovincia ist ja ganz überraschend pleite. Dann hätte das MKKD wenigstens etwas Natur zum Anlehnen – wenn schon nicht lebendig, dann eben als Nachbildung. Eine erahnbare Spur von Wildnis im Vitrinenglas. So hätte man am Ende doch alles vereint, was Verwaltungsgroßdenker lieben: Natur ohne Unterhalt, Tiere ohne Futterkosten, Publikum mit Eintrittskarte.

Die neue Logik leuchtet der Stadtspitze und dem Stadtrat offenbar so klar wie eine LED-Spotleiste im Foyer: Natur ist verzichtbar, Beton ist Bildung. Ein Wisent erzeugt keine Strahlkraft, eine weiße Wand schon. Und während das Wildschwein noch um sein Futter bangt, feiert der Beton, nach langen Bauverzögerungen ja vielleicht irgendwann Richtfest – unter dem Applaus jener, die „Sparen“ sagen, aber „Prestige“ meinen.

Die Stadträte erklären derweil, man müsse „schwere Entscheidungen treffen“, und niemand könne sich davon frei machen. Das stimmt sogar: Frei machen kann sich jetzt vor allem das Rotwild – allerdings vom Gehege. Während die Hirsche ihre sieben Sachen packen, ins Ungewisse blicken und das Mufflon kollektiv noch überlegt, ob es sich für den Widerstand eignet, bereitet man im Stadtrat schon die kommunikative Begleitmusik vor. Dort heißt es dann vermutlich: „Die Tiere seien ja gar nicht weg – nur nicht mehr da.“ Ein Satz, der klingt, als hätte Kafka kurz im Hauptamt hospitiert.

Währenddessen dürfen sich Kinder und Familien darauf freuen, künftig statt Heu und Fell vor Wandtexten zu stehen. Ein MKKD-Besuch, so hört man es aus dem Stadtrat, schule schließlich „ästhetische Wahrnehmung“ – ein Wildschwein hingegen nur den Geruchssinn. Und wenn das nicht Fortschritt ist, was dann? Kleinprovincia entwickelt sich eben weiter – weg von Erde, Gras und Geweih, hin zu Beton, Konzept und Kassenbon. Man könnte fast meinen, die Stadt wolle nicht sparen, sondern ihre eigene Bevölkerung umerziehen: vom Naturkind zum Museumsflüsterer.

Doch das Schönste an all dem: Die Verantwortlichen glauben wirklich, dies sei der Weg in eine moderne Zukunft. Eine Zukunft, in der ein Wisent zu teuer, ein Workshop im Weißraum jedoch ein Geschenk an die Stadtgesellschaft ist. Und so marschiert Kleinprovincia entschlossen weiter – mit dem Rotstift in der einen und der Richtfest-Einladung für VIPs der Stadt in der anderen Hand.

Aber keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser, Kleinprovincia ist selbstverständlich nur ein Fantasieprodukt. Die Realität ist viel geordneter, rationaler und frei von grotesken Ego-Schlachten, absurden Prioritäten und betonvergoldeten Sparbeschlüssen. Oder etwa nicht?

Fortsetzung folgt …

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