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Pflegeplätze fehlen in Ingolstadt - Was macht die Kommunalpolitik?

Pflegeplätze fehlen in Ingolstadt - Was macht die Kommunalpolitik?

(tt) Die "Frage der Woche" bei O-T(h)öne lautet:

"Ein von der Stadt in Auftrag gegebenes Pflegegutachten hat bereits im Jahr 2017 einen Mehrbedarf von stationären Pflegeplätzen von 956  auf  1.383  bis zum Jahr 2035 ergeben, dies ohne die sogenannten Rüstigenplätze. Unter Einbeziehung der Rüstigen ergab sich ein kontinuierlich steigender Gesamtbedarf, auf 1.631 bis 1.702 Plätze. Wie wollen Sie die notwenigen zusätzlichen Pflegeplätze, im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge, schaffen?“

(Anmerkung der Redaktion: Das Gutachten finden Sie hier -> Pflegegutachten für die Stadt Ingolstadt)

Aus dem Ingolstädter Stadtrat wurden die Fraktionen und Gruppierungen von CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Freie Wähler, UWG, LINKE und ÖDP, am 11. April um eine Antwort gebeten. Nachfolgend die ungekürzten und nicht redigierten Antworten, die O-T(h)öne erreicht haben:

Georg Niedermeier, Stadtrat der UWG-Stadtratsfraktion:

Wenn im Verwandtenkreis die Frage diskutiert wird, wie sich der einzelne Senior eine Zukunft als Pflegebedürftiger vorstellt, geht die Antwort meist in Richtung häusliche Pflege. Dahinter steckt das natürliche Bedürfnis, solange wie möglich die sozialen Kontakte zu bewahren und in der gewohnten Umgebung  bleiben zu können.

Eine „Bürde“, die oft der eigenen Familie auferlegt wird. Aus diesem Grund halten wir es als besonders wichtig, dass die Kommune, zur Entlastung pflegender Angehöriger, Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflegeplätze in ausreichendem Maße schafft. Dies aber auch möglichst wohnortnah. Die Teilhabe pflegebedürftiger Menschen am gesellschaftlichen Leben und die Unterstützung pflegender Angehöriger ist uns ein wichtiges Anliegen.

Darüber hinaus muss auch das Thema der stationären Pflege angegangen werden. Soweit ein Ausbau oder eine Erweiterung einer Einrichtung möglich ist, sollten alle Förderprogramme, die es zweifellos gibt ,ausgeschöpft werden.

Einen wichtigen Aspekt hatte die ehemalige Gesundheitsministerin Huml angesprochen. Sie forderte, dass sich die Pflegeheime in den sozialen Raum öffnen. Pflegeheime sollten in ihrem Quartier haushaltsnahe Dienste oder Betreuungsangebote  anbieten. Ein interessanter Ansatz! Gerade in neuen Baugebieten würden sich neue Betreuungsmodelle umsetzen lassen. Warum nicht ambulant betreute Wohngemeinschaften mit einer räumlich angegliederten Begegnungsstätte in einem Gebäude schaffen? Damit erreicht man wichtige Kriterien: Wohnortnah, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und darüber hinaus einen „Profit“ für die Angehörigen.

Christian De Lapuente, Fraktionsvorsitzender der SPD:

Die aktuellen und die zukünftigen Entwicklungen im Bereich der Pflege stellen alle politischen Ebenen vor große Herausforderungen. Die SPD-Stadtratsfraktion drängt seit Jahren darauf, ein bedarfsgerechtes Angebot an Pflegeplätzen inklusive der Kurzzeitpflege vorzuhalten. Zu diesem Zweck sind wir auch im Gespräch mit gemeinnützigen Trägern. Bekannt sind die Pläne der Diakonie, die eben erst das Dietrich-Bonhöffer-Zentrum eröffnet hat und jetzt am Bienengarten das nächste Projekt in Angriff nimmt. Auch die Arbeiterwohlfahrt will ein neues Pflegeheim errichten. Die Heilig-Geist-Spital-Stiftung plant die Sanierung des Heimes an der Fechtgasse auf unser Drängen inzwischen auch mit stationären Plätzen, außerdem ein neues Heim, entweder an der Jahnstraße oder an einem anderen Standort. Die Stadtplanung hat ebenfalls auf den Bedarf reagiert. So soll auf dem ehemaligen Rieter-Gelände die planerische Voraussetzung für ein Pflegeheim geschaffen werden. Ein weiterer möglicher Standort wäre das Samhofgelände.

Die Fraktion hat außerdem bereits 2017 die Verwaltung in einem Antrag aufgefordert, zusammen mit den freien Trägern von Pflegeheimen ein Konzept zur Schaffung einer ausreichenden Zahl an Kurzzeitpflegeplätzen in Ingolstadt zu erarbeitet. Im Mai 2020 haben wir zudem beantragt das Projekt „SeniorenhelferInnen“ zu starten, das auf Hilfe angewiesene Menschen im Alltag unterstützt und ihnen damit ein möglichst selbständiges Leben in den eigenen vier Wänden erleichtert.

Ein besonderes Anliegen war für uns die Errichtung des Pflegestützpunktes, der nun seit April 2021 im Bürgerhaus „Neuburger Kasten“ seine Arbeit aufgenommen hat. Für pflegebedürftige Menschen und deren pflegende Angehörige wird es zunehmend schwieriger, sich in der Vielfalt der Pflegeangebote zu Recht zu finden. Pflegestützpunkte bieten Pflegedürftigen und deren Angehörigen fachlich und inhaltlich Auskunft, sowie kompetente, individuelle und unabhängige Beratung. Deswegen haben wir sowohl 2018 als auch erneut 2020 bei der Verwaltung beantragt, die hierfür erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. Das alles sind erste wichtige Schritte, um den wachsenden Bedarf an Pflegeplätzen zu begegnen. Doch es wird eine zentrale Aufgabe von Bund, Länder und Kommunen werden, hier in den nächsten Jahren die richtigen Weichen zu stellen, um die Pflegeinfrastruktur auszubauen. 

Hans Stachel, Fraktionsvorsitzender der FREIEN WÄHLER:

Meines Erachtens ist das Fazit aus dem Pflegegutachten des Jahres 2017 nicht hundertprozentig zu übernehmen. Die Rahmenbedingungen des Jahres 2017 sind mit der aktuellen Situation nicht gleichzusetzen.

Einerseits haben sich seit 2017 verschieden neue „Pflegeformen“ entwickelt – hier möchte ich Mehrgenerationenhäuser, betreute Wohnformen und auch das Konzept „Wohnen für Hilfe“ nennen – andererseits geht der Trend dahin, die Mitbürgerinnen und Mitbürger möglichst lange in ihrem gewohnten sozialen Umfeld zu lassen. Dabei spielen verschiedene Hilfskomponenten wie ambulante Pflegedienste und Lieferdienste eine zunehmend wichtige Rolle. Dies zeigt sich auch in den vielfachen Änderungen der Pflegegesetze seit 2017.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Zahl der Pflegeplätze im Verhältnis zur Bevölkerungsentwicklung zu gering ist. Die Leerstands-Problematik in Ingolstadt in der Alten- und Pflegeeinrichtung der Heilig-Geist-Spital-Stiftung und der akute Personalmangel bei den Pflegekräften besteht schon seit 2017. Es wird schwierig sein, zusätzliche Plätze zu schaffen, wenn nicht neue Pflegekräfte in ausreichender Zahl gefunden werden können.

Um neue Pflegekräfte gewinnen zu können, brauchen wir als ersten Schritt ein attraktiveres Berufsbild und eine attraktivere Ausbildung, vergleichbar mit den Maßnahmen, die im Berufsfeld Erzieherinnen bereits ergriffen worden sind.

Bevor sie wieder belegt werden, müssen die vorhandenen Pflegeplätze im Heilig-Geist-Spital auf den neuesten Stand der Ausstattung und Versorgung gebracht werden. Für konkrete Anwerbungsmaßnahmen von Pflegekräften sind neben einem adäquaten Gehalt auch Lohnzusatzleistungen und Vorteile auf dem Ingolstädter Wohnungsmarkt anzubieten.

Maria Segerer, Stadträtin von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN:

„Wie wollen wir im Alter leben?“ Die Vorstellungen hierzu sind individuell unterschiedlich. Mit der gestiegenen Lebenserwartung und dem zunehmendem Lebensalter steigt das individuelle Krankheitsrisiko und das Risiko der Multimorbidität. Wer dann auf Hilfe angewiesen ist, braucht passende Unterstützungsleistungen. Gleichzeitig sind die Senior*innen heute teilweise bis ins hohe Alter hinein aktiv und wollen trotz Einschränkungen selbstbestimmt leben und teilhaben.

All das stellt insbesondere die Kommunen vor besondere Herausforderungen; sie müssen für bedarfsgerechte Rahmenbedingungen sorgen und ihre senioren- und pflegepolitischen Konzepte entsprechend gestalten. Ältere Menschen sollen solange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung, in den eigenen vier Wänden oder im vertrauten Quartier bleiben können, selbst dann, wenn sie besondere Hilfen brauchen oder Pflegebedarf haben. Dafür braucht es ein effizientes Hilfenetz, auch für die Angehörigen. An erster Stelle steht eine unabhängige und neutrale Senioren- und Pflegeberatung und die Möglichkeit für pflegebedürftige Menschen in schwierigen Versorgungssituationen individuelle Case-Manager einzusetzen. Stationäre Wohn- und Pflegeplätze sowie Angebote der ambulanten Tagesbetreuung und Tagespflege müssen ausgebaut werden. Alternative Wohnformen und Wohnkonzepte wie Mehrgenerationenwohnen oder Pflege WGs bieten weitere Möglichkeiten. Die Angebotsträger müssen aber nicht nur bei der Umsetzung neuer Projekte von der Kommune unterstützt werden, sondern auch bei der Gewinnung von Fachpersonal, z. B. durch Förderung von Ausbildungsmöglichkeiten oder Bereitstellung von günstigem Wohnraum.

Die vorhandenen Angebote in Ingolstadt müssen angesichts des steigenden Bedarfes angepasst und erweitert werden. Mit der Fortschreibung des Seniorenpolitischen Gesamtkonzepts und der Errichtung des Pflegestützpunktes sind die Grundlagen geschaffen. Die Erfassung, Zusammenführung und Verzahnung der bereits bestehenden Angebote erfolgt sinnvollerweise in einem eigenen Steuerungsgremium, in dem auch Defizite erfasst und neue Angebote angestoßen werden. Der Bereich Seniorengesundheit und Pflege wäre zudem als ein Schwerpunktthema im Rahmen der Gesundheitsregion Plus vorstellbar.

Patricia Klein, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CSU:

Die Stadt Ingolstadt muss im Rahmen ihrer Hinwirkungspflicht dafür Sorge tragen, dass bedarfsgerecht genügend Pflegeplätze angeboten werden können. Daher gibt es seit Jahren eine Förderrichtlinie, die den Begründern von neuen Pflegeplätzen einen städtischen Zuschuss zur Erleichterung der Finanzierung ermöglicht.

Zudem verantwortet die Stadt durch die durch sie verwaltete Trägerstiftung selbst ein Alten- und Pflegeheim, das Heilig-Geist-Spital, sicherlich keine Selbstverständlichkeit in der kommunalen Familie, aber ein großer Beitrag der Stadt Ingolstadt zur Hinwirkungspflicht auf ein bedarfsgerechtes Pflegeplatzangebot.

Bereits 2018 beantragte die CSU Fraktion, angesichts der zukünftig geplanten Pflegeplatzgarantie für den Freistaat, den Bedarf für Ingolstadt nicht nur genau zu erheben, sondern auch so exakt wie möglich zu prognostizieren und die Planungen für das Heilig-Geist-Spital auch daran zu orientieren.

Aus heutiger Sicht kristallisieren sich besonders zwei Aspekte heraus, die entscheidend sein werden bei der Frage, ob auch in Zukunft in Ingolstadt genug stationäre Pflege angeboten werden kann: Zum Einen ist dies die Gewinnung von Pflegekräften, denen Ingolstadt als Lebens- und Arbeitsraum genug attraktive Bedingungen schaffen muss. Dazu gehören im Besonderen bezahlbarer Wohnraum, flexible Infrastruktur, insbesondere im ÖPNV, und zuverlässige Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Die Politik der vergangenen Jahre griffen diese Ziele immer wieder auf: sei es bei der intensiven Bautätigkeit der GWG im Wohnungsbau, bei den stetigen Taktverbesserungen im ÖPNV und dem stetigen Aufbau von neuen Kinderbetreuungseinrichtungen. Zum Anderen geht es auch darum, ganz im Grundsatz von „ambulant vor stationär“, die ambulanten Pflegemöglichkeiten nicht aus dem Auge zu verlieren. Hierbei ist es notwendig, dass stadtplanerisch auch weiterhin ein Bedarf an Tages- und Nachtpflegeplätzen in den Bebauungsplänen Abbildung findet und genug Gemeinbedarfsflächen vorgehalten werden. Auch im Bereich seniorengerechtes Wohnen sind neue Lebensformen für ältere Menschen mitzudenken, um so lange wie möglich den Betroffenen ein Leben im vertrauten häuslichen Umfeld zu ermöglichen.

Eva Bulling-Schröter, Sprecherin der Stadtratsgruppe DIE LINKE:

Es ist kein Geheimnis, unsere Gesellschaft wird älter und der Bedarf an Pflegeplätzen steigt stetig. Jetzt schon ist der Pflegenotstand allerorts zu spüren. Ob es hier Lösungen geben wird, oder ob Menschen in Zukunft „ihrem Schicksal“ überlassen werden, muss in den nächsten Jahren entschieden werden. Klar ist jetzt schon: Unsere Gesellschaft braucht eine Diskussion darüber, wie viel ihr alte Menschen in Pflegeeinrichtungen wert sind. Menschlichkeit kostet eben auch Geld.

Eine Deckelung des Beitrages für die Pflegeversicherung nützt vor allem den Unternehmen und führt zu schlimmen „Sparmaßnahmen“, denen die zu Pflegenden und das Pflegepersonal nur mit oft existenzvernichtenden Eigenbeiträgen entgegenwirken können.
Deshalb brauchen wir eine Wende in der Pflegepolitik.

Entscheidend in dieser Debatte bleibt die Frage, ob es uns gelingt mehr Personal für Pflegeberufe zu begeistern. Um dies langfristig zu gewährleisten, sind menschenwürdige Arbeitsbedingungen eine unabdingbare Voraussetzung, nur so kann das Pflegesystem gerettet werden. Dazu ist für die Linke eine Tarifbindung in allen Häusern und eine Allgemeinverbindlichkeit Voraussetzung, um diese Maßnahmen umzusetzen brauchen wir jedoch die Unterstützung von Caritas und Diakonie. Nur mit ihnen gemeinsam können Preisdumping und wettbewerbsorientiertes Kaputtwirtschaften unseres Pflegesektors langfristig verhindert werden. Betriebliche Interessenvertretungen sind im Übrigen unbedingt zu fördern.

Pflegebetriebe dürfen nicht von Investoren aufgekauft werden, denn das führt zwangsläufig zu einer Gewinnoptimierung und damit zu schlechten Bedingungen für die zu Pflegenden und das Personal. Die beste Chance für die Zukunft der Pflege liegt in einem Paradigmenwechsel nach der Bundestagswahl und einer Kommunalisierung der Pflege um Profitmacherei auf Kosten der Menschen zu verhindern. Zusätzlich kann durch eine vernünftig ausgebaute Kurzzeitpflege und auch durch ambulant betreute Wohngemeinschaften kurzfristige Hilfe geschaffen werden.

Raimund Köstler, Sprecher der Stadtratsgruppe der ÖDP:

Der steigende Bedarf von Pflegeplätzen ist seit Langem bekannt. Die damit verbundenen Aufgaben der Stadt Ingolstadt konzentrieren sich wesentlichen auf zwei Punkte: Erstens, die Bereitstellung von Gemeinbedarfsflächen im ausreichenden Umfang für Investitionen in diesem Bereich. Zweitens, Auffüllen der Lücke, die durch fehlende private Anbieter entsteht.

Bei der Ausweisung von Gemeinbedarfsflächen besteht heute allerdings noch eine große Diskrepanz zwischen dem Erreichten und dem Notwendigen. Hier ist für die Zukunft eine genauere Berechnung des Bedarfes und der Durchsetzung in Bebauungspläne oder städtebaulichen Verträgen notwendig. Auch ist dabei zu beachten, dass die Gemeinbedarfsflächen gleichmäßig über das gesamte Stadtgebiet verteilt werden und somit der Wunsch nach Aufrechterhaltung der sozialen Kontakte erfüllt werden kann.

Soweit private Anbieter nicht genügend Pflegeplätze schaffen können, beziehungsweise wollen, ist es Aufgabe der Stadt, denn nicht befriedigten Bedarf abzudecken. Dies könnte zukünftig die Heilig-Geist-Spital Stiftung als ihre Aufgabe ansehen. Vergessen werden darf dabei aber nicht, dass auch die Gewinnung von Pflegekräften weiterhin von der Stadt gefördert werden muss.

 

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