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Ärmere Haushalte waren besonders belastet

Die Inflationsrate in Deutschland ist im März auf 2,2 Prozent gesunken und hat damit das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent fast erreicht. Die Inflationsbelastung verschiedener Haushaltstypen, die sich nach Einkommen und Personenzahl unterscheiden, lag relativ nah beieinander. Der Unterschied zwischen der höchsten und der niedrigsten haushaltsspezifischen Rate betrug 1,3 Prozentpunkte. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor waren es 2,4 Prozentpunkte und auf dem Höhepunkt der letzten Inflationswelle sogar 3,1 Prozentpunkte. Während einkommensschwache Haushalte im Mittel des Jahres 2022 und auch 2023 eine deutlich höhere Teuerung schultern mussten als Haushalte mit mehr Einkommen, war ihre Inflationsrate im März 2024 unterdurchschnittlich: Der Warenkorb von Alleinlebenden mit niedrigen Einkommen verteuerte sich um 1,3 Prozent, der von Familien mit niedrigen Einkommen um 1,4 Prozent. Das ergibt der neue IMK Inflationsmonitor, den das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung vorlegt. Angesichts der deutlich abgeschwächten Inflation und einer schwachen Wirtschaftsentwicklung habe die Europäische Zentralbank (EZB) vergangene Woche den Einstieg in eine bereits überfällige Zinswende verpasst, sie sollte nun schnellstmöglich mit Zinssenkungen beginnen, mahnen die Forschenden. 

Silke Tober, IMK-Inflationsexpertin, und der wissenschaftliche Direktor Sebastian Dullien berechnen seit Anfang 2022 monatlich spezifische Teuerungsraten für neun repräsentative Haushaltstypen, die sich nach Zahl und Alter der Mitglieder sowie nach dem Einkommen unterscheiden.

Die längerfristige Betrachtung illustriert noch einmal sehr anschaulich, dass ärmere Haushalte während der aktuellen Teuerungswelle bis in den Sommer 2023 hinein besonders stark durch die Inflation belastet waren, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Güter des Grundbedarfs wie Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben müssen. Diese waren lange die stärksten Preistreiber.

Im Laufe der letzten Monate hat die Preisdynamik dort aber stark nachgelassen, sodass sich die einkommensspezifischen Differenzen seit dem Höhepunkt im Oktober 2022 deutlich verändert haben. Damals hatten Familien mit niedrigen Einkommen die höchste Inflationsbelastung im Haushaltsvergleich mit 11,0 Prozent. Dagegen waren es beim Haushaltstyp der Alleinlebenden mit sehr hohen Einkommen 7,9 Prozent. Vor einem Jahr, im März 2023, waren es Alleinlebende mit niedrigen Einkommen, die mit der höchsten Teuerungsrate konfrontiert waren – 8,7 Prozent. Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen lagen auch in diesem Monat mit 6,3 Prozent deutlich niedriger und unter der allgemeinen Inflationsrate von damals 7,4 Prozent. 

Dass die allgemeine Inflationsrate von Februar auf März 2024 um 0,3 Prozentpunkte zurückgegangen ist, liegt vor allem daran, dass die Preise für Energie deutlich und für Nahrungsmittel etwas niedriger lagen als ein Jahr zuvor – um 2,7 bzw. 0,7 Prozent.

Auch bei den übrigen untersuchten Haushaltstypen jenseits der einkommensschwachen Haushalte wirkte sich die nachlassende Preisdynamik für Güter und Dienstleistungen des Grundbedarfs in weiter rückläufigen Inflationsraten aus, allerdings weniger stark als bei den ärmeren: So betrug die Preissteigerung für Alleinlebende mit sehr hohen Einkommen im März 2,4 Prozent, da diese Haushalte stärker als andere Freizeit- und Kulturdienstleistungen, Hotelübernachtungen,  Restaurantdienstleistungen oder Gesundheitsdienstleistungen nachfragen, deren Preise aktuell anziehen.

Der Warenkorb von Paaren mit Kindern und hohen Einkommen verteuerte sich um 2,2 Prozent, der von Paaren ohne Kinder mit mittleren Einkommen um 2,1 Prozent. Alleinlebende mit höheren Einkommen verzeichneten eine Teuerungsrate von 2,0 Prozent, Paare mit mittleren Einkommen von 1,9 Prozent. Bei Alleinlebenden und bei Alleinerziehenden mit jeweils mittleren Einkommen legten die Preise im Jahresvergleich um je 1,8 Prozent zu.

Tober und Dullien rechnen mit weiter nachlassendem Preisdruck – und kritisieren, dass die EZB in der vergangenen Woche die Chance verstreichen ließ, die Leitzinsen zu senken. „Trotz der zügig sinkenden Inflation, der aufgehellten Inflationsaussichten und der trüben Wirtschaftslage hat die EZB es bei ihrem Treffen im April 2024 versäumt, die Zinswende einzuleiten.“ Angesichts der eindeutigen Datenlage bei Inflation und Konjunktur „wäre eine Verringerung des geldpolitischen Restriktionsgrades auf Grundlage einer datenbasierten Analyse unbedingt erforderlich gewesen“, schreiben die Forschenden. Eine Zinssenkung sei überfällig, da die stark restriktive Geldpolitik im aktuellen Umfeld die wirtschaftliche Aktivität zu stark drossele und dadurch nicht zuletzt riskiere, dass die Inflation in der mittleren Frist zu gering ausfällt.

Die EZB müsse ihren Fehler so schnell wie möglich korrigieren, mahnen die Fachleute. Es bestehe zwar ein gewisses Risiko, dass eine weitere Eskalation der Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine für deutlich anziehende Ölpreise sorge. Das sei in der aktuellen Lage aber gerade keine Rechtfertigung für weiteres Zögern bei Zinssenkungen, betonen Tober und Dullien. Steigende Ölpreise würden die Wirtschaftsentwicklung noch zusätzlich bremsen. Gleichzeitig dürften sie „wie in der Vergangenheit ein temporäres Problem bleiben, bei dem eine geldpolitische Reaktion kontraproduktiv ist“, weil Zinserhöhungen wirkungslos gegen solche vorübergehenden Schocks sind. 

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung.

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