Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat den polizeilichen Schusswaffeneinsatz mit tödlichen Folgen von Anfang Juli letzten Jahres in Ingolstadt intensiv untersucht und wird kein Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Polizeibeamten einleiten.
Nach dem Ergebnis des Vorermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Ingolstadt wurden durch den Schusswaffengebrauch keine rechtswidrigen, also strafrechtlich verfolgbaren, Taten begangen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Polizeibeamten in Notwehr bzw. Nothilfe von ihren Dienstwaffen Gebrauch machen mussten. Die Untersuchungen haben ergeben, dass das Handeln der Polizeibeamten gerechtfertigt war und die Polizeibeamten die Vorgaben des Polizeirechts eingehalten haben, teilt die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Ingolstadt, Oberstaatsanwältin Veronika Grieser, mit.
Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, im Fall eines tödlichen Schusswaffengebrauchs durch Polizeibeamte ein Vorermittlungsverfahren einzuleiten und die Vorgänge genau zu prüfen. Im Zuge ihrer Vorermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Ingolstadt rund 20 Polizeibeamte als Zeugen vernommen. Weiter wurden die hinzugezogene Dolmetscherin, zwei Personen aus der Verhandlungsgruppe der Polizei, 9 Feuerwehrkräfte sowie drei weitere Personen als Zeugen vernommen. Es wurden zudem Gutachten unter anderem zu den Schusswaffen, ein chemisch-toxikologisches Gutachten sowie ein traumato-mechanisches Gutachten eingeholt. Darüber hinaus wurden vorhandene Audioaufnahmen aufbereitet, um das Geschehen nachvollziehen zu können.
Nach den durchgeführten Ermittlungen ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft von folgendem Geschehensablauf auszugehen: Der Getötete war als Montage-Arbeiter tätig. Er war bereits am Vormittag des 5. Juni letzten Jahres 2023 aufgefallen, weil er auf dem Betriebsgelände einer Ingolstädter Firma vollständig entkleidet im Gleisbereich umherlief. Durch Betriebsmitarbeiter
verständigte Polizeibeamte trafen um 10.36 Uhr erstmals im Bereich der Bahngleise nahe des Betriebsgeländes auf den 35-jährigen, 1,74m-großen Mann, welcher nach wie vor völlig unbekleidet und verwirrt umherlief. Um eine Eigen- undFremdgefährdung zu verhindern, sollte eine Festnahme erfolgen. Es gelang den sechs Polizeibeamten jedoch nicht, den kräftigen und muskulösen Mann
festzuhalten. Er wehrte sich mit Schlägen und Tritten gegen eine Festnahme. Eine Kommunikation war nicht möglich. Ein mehrfacher, massiver Einsatz von Pfefferspray und auch Schläge mit dem Einsatzstock gegen die Beine des Mannes zeigten keinerlei Wirkung. Er konnte sich einem Zugriff entziehen und fliehen.
Der Mann lief sodann bis zu einer Straßenüberführung, welche in einer Höhe von etwa
5 Metern über einen asphaltierten Wirtschaftsweg führt. Der Betroffene hielt sich im Bereich des Brückengeländers, teils außen am Geländer in etwa 5 Meter Höhe über der Straße auf. Im weiteren Verlauf wurden die Verhandlungsgruppe der Ingolstädter Polizei und Spezialkräfte des SEK hinzugezogen. Die hinzugezogenen Feuerwehrkräfte platzierten zwei Sprungkissen unterhalb der Brücke.
Eine Gesprächsaufnahme oder ein Kontaktaufbau von Personen aus der Verhandlungsgruppe mit dem Mann gelang auch mithilfe einer Dolmetscherin für die tschechische Sprache nicht. Dieser hatte sich auf dem Weg zur Brücke mit einem 1,60 m langen und 4,9 kg schweren Ast bewaffnet, welchen er auf der Brücke umherschwenkte. Er warf Steine nach unten in die Unterführung. Der Einsatz eines Tasers – ein entsprechendes Team war vor Ort – war in dieser Situation nicht möglich, weil die Gefahr bestand, dass der Betroffene bei einem Tasereinsatz von der Brücke stürzen würde. Die Kommunikationsversuche wurden weiter ohne Erfolg fortgeführt.
Gegen 15.20 Uhr bewegte sich der 35-Jährige plötzlich in Richtung eines dichten, nicht einsehbaren Gebüschs neben der Straße. Einige Beamte folgten ihm, andere versuchten, ihm den Weg abzuschneiden. Diese Beamten waren in Zivilkleidung und ohne Schutzausrüstung, wie beispielsweise Helme. Der Betroffene kam plötzlich aus dem Gebüsch auf die Polizeibeamten zu und holte mit dem Ast in der Hand aus. Er führte damit kräftige Schlagbewegungen in Richtung der Polizeibeamten aus, auch auf Kopfhöhe. Diese mussten rückwärts gehend nach hinten ausweichen, wo sich Feuerwehrkräfte und die Dolmetscherin befanden.
Einer der Beamten gab hierauf zwei Warnschüsse ab, einen davon in den Boden unmittelbar neben dem Betroffenen. Dies zeigte bei diesem jedoch keine Reaktion. Vielmehr holte der Mann nochmals mit dem Ast in Richtung der Beamten aus. Als der Betroffene in Schlagreichweite zu ihm kam, sah einer der Beamten keine andere Verteidigungsmöglichkeit und gab einen Schuss aus seiner Dienstpistole auf den Mann ab. Ein weiterer Beamter schoss auf den Betroffenen, um seinen
Kollegen vor einem Schlag zu schützen. Einer der Schüsse traf den Betroffenen in den Bauch, einer in den Brustbereich. Wie das rechtsmedizinische Gutachten ergab, führte der Schuss in den Brustbereich zum Tod des Betroffenen.
Eine chemisch-toxikologische Untersuchung von Blut, Urin und Haaren des Getöteten ergab, dass dieser massiv unter dem Einfluss von Amphetaminen stand. Nach dem Gutachten der rechtsmedizinischen Sachverständigen kann das Verhalten des Mannes auf die Wirkung der Amphetamine zurückgeführt werden. Diese führen, so das Gutachten, unter anderem zu aggressivem und enthemmtem Verhalten, Wahnvorstellungen, Halluzinationen und paranoiden Psychosen.
Die Polizeibeamten, die auf den Betroffenen schossen, waren nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Ingolstadt durch Notwehr beziehungsweise Nothilfe gerechtfertigt. Unmittelbar vor der Abgabe der Schüsse hatte der durchtrainierte, kräftige und großgewachsene Mann mit dem knapp 5 kg schweren Ast mehrfach in Richtung der nach hinten ausweichenden Polizeibeamten geschlagen, unter anderem in Kopfhöhe. Er befand sich zum Zeitpunkt der Schussabgabe in Reichweite der Polizeibeamten, die keine Schutzausrüstung wie etwa Helme trugen.
Durch das traumato-mechanische Gutachten wurde festgestellt, dass der verwendete Ast erhebliche Verletzungen wie Brüche oder Rupturen innerer Organe und eine Schädelfraktur hervorrufen hätte können. Eine andere, sichere Möglichkeit, ein sogenanntes milderes Mittel, stand den Polizeibeamten in dieser Situation nicht zur Verfügung. Mehrfachen Aufforderungen in deutscher und englischer Sprache, den Ast wegzuwerfen, war der 35-Jährige nicht nachgekommen. Schläge gegen die Beine und ein massiver Einsatz des dienstlichen Pfeffersprays waren ohne Wirkung geblieben. Sogar zwei Warnschüsse, als der Betroffene die Polizeibeamten bereits angegriffen hatte,
zeigten keine Folgen. Auf eine körperliche Auseinandersetzung mussten sich die Polizeibeamten in dieser Situation nicht einlassen, auch wenn sie zahlenmäßig überlegen waren. Einer Festnahme durch insgesamt sechs Polizeibeamte hatte sich der Betroffene zuvor bereits widersetzt. Aufgrund seiner Bewaffnung mit dem Ast hätte sich ein Beamter, der sich in seine Reichweite begeben hätte, selbst in unmittelbare Leibesund Lebensgefahr begeben. Auch von einem erkennbar psychisch beeinträchtigten Menschen ist ein potenziell lebensgefährdender Angriff nicht hinzunehmen.
Ein Zielen auf andere Körperregionen hätte in der konkreten Situation keine ausreichend sichere Alternative dargestellt. Im Hinblick auf die Schlagbewegungen in Reichweite der Polizeibeamten hätte etwa ein Schuss in die Beine nicht sicher gewährleistet, dass die Vorwärtsbewegung unterbunden und ein potenziell tödlicher Schlag mit dem Ast unmöglich würde. Es ist bekannt, dass bei Personen unter Rauschmitteleinfluss selbst Körpertreffer nicht zwangsläufig zu einem
Zusammenbrechen oder zu Bewegungsunfähigkeit führen. Der Einsatz der Schusswaffe war aufgrund des unvermittelten Angriffs auf die Polizeibeamten gerechtfertigt.
Quelle: Staatsanwaltschaft Ingolstadt.
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