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Haunwöhr/Ingolstadt – Es war eine dieser Nächte, wie sie nur in der kommunalpolitischen Mythologie vorkommen: still, hektisch, eilig einberufen – und am Ende erstaunlich einstimmig. Der Ingolstädter Stadtrat hat in einer außerplanmäßigen Sondersitzung kurz vor Mitternacht eine Entscheidung gefällt, die gleich mehrfach Geschichte schreiben dürfte: Erstens, weil sie die Entscheidung vom Nachmittag vollständig einkassiert. Zweitens, weil sie demonstrativ den Fußgängern die Tür weist. Und drittens, weil sie zeigt, wie viel Einfluss politisch wirksam verärgerte Landwirte und entschlossene Besitzer einer Grünfläche heute auf die Verkehrspolitik nehmen kann – mehr jedenfalls als ein ganzes Rudel Spaziergänger mit Hund, Kind oder Rollator.
Konkret wurde beschlossen, dass die geplante Teilfreigabe von rund 400 Metern des Buschlettenwegs nun doch nicht kommt. Stattdessen wurde der Weg gesperrt – effektiv, endgültig, symbolisch. Und das nicht etwa durch Gespräche, Kompromisse oder technische Maßnahmen, sondern durch das, was Kommunen seit jeher lieben: neue Schilder. Viel hilft viel – und wo Argumente fehlen, hilft ein Verkehrszeichen mit deutlicher Botschaft.
Die neue Beschilderung sieht nun das Verkehrszeichen 259 vor – das Verbot für Fußgänger, weißer Spaziergänger auf rotem Kreis, ein deutliches Zeichen für alle, die glauben, mit Beinen den Weg benutzen zu dürfen. Ergänzt wird das durch das Verkehrszeichen 254, das Radfahrenden ebenfalls kategorisch das Vorankommen untersagt. Dass Radfahren eigentlich umweltfreundlich, platzsparend und gesund ist, spielte dabei offenbar keine Rolle – die städtische Symbolpolitik bevorzugt Vehikel mit mindestens drei Dezibel mehr Brummen. Um das Ganze abzurunden, wird das Schild 331.1 angebracht, das normalerweise den Beginn einer Kraftfahrstraße markiert – in diesem Fall jedoch mit dem vielsagenden Zusatzschild „Nur landwirtschaftlicher Verkehr frei“ kombiniert wird. Ein Verkehrspoem aus Bürokratie und warmem Dieselhauch.
In einer Eilmeldung, die über die städtische Pressestelle soeben verbreitet wurde, ließ ein Vertreter des städtischen Verkehrsmanagements verlauten, man sei überzeugt, „dass mit dieser genialen Lösung sämtliches Konfliktpotenzial aus der Welt geschafft wurde – sowohl mit den Naherholungssuchenden, die es dort laut Lesart der Verwaltung ohnehin nie gegeben hat, als auch mit Landwirten und Anwohnern.“
Die Mitteilung wirkte nicht nur entschlossen, sondern fast erleichtert – als hätte man durch das Aufstellen dreier Schilder die jahrzehntelange Geschichte eines gemeinsam genutzten Weges kurzerhand für beendet erklärt. Die Lösung sei nicht nur verkehrsrechtlich einwandfrei, sondern auch politisch wohltuend eindeutig: Was nicht fahren darf, soll eben gar nicht erst auftauchen.
Ein Stadtratsmitglied, das ausdrücklich namentlich genannt werden wollte – und dabei sichtlich zufrieden wirkte – äußerte sich gegenüber dem Nachrichtenportal O-T(h)öne mit ungewohnter Offenheit: „Diese Eilsitzung hat sich absolut gelohnt. Wir wollten niemanden verärgern, besonders nicht die Landwirte. Vor denen haben wir seit den großen Protesten im letzten Jahr allerhöchsten Respekt.“ Auch die engagierten Besitzer einer Grünfläche, die in der Vergangenheit durch kreative Nutzung und gelegentliche Duftnoten auf sich aufmerksam gemacht hatten, seien im Entscheidungsprozess selbstverständlich mitbedacht worden.
Zurück bleiben Menschen, die künftig auf den benachbarten Norddamm ausweichen müssen – einen breiten, sonnenexponierten, im Sommer glühend heißen Streifen Asphalt ohne Schatten, ohne Atmosphäre, aber mit Barrierefreiheit, der im Winter weder geräumt noch gestreut ist. Naherholung wird damit offiziell zur Jahreszeitensache – oder zur Charakterprüfung.
Wer dort nicht spazieren möchte, solle sich bitte andere Wege suchen. Oder besser gleich einen Traktor anschaffen, einen Weiher pachten, eine Kaminfeuerromantik beantragen – oder einfach eine ausreichend grüne Fläche besitzen. Denn wer in Ingolstadt einen Weiher mit Baulust und rauchendem Kamin sein Eigen nennt, wird auch verkehrsrechtlich gehört.
Und so wurde der Buschlettenweg vom Erholungsort zum exklusiven Feldwegclub umgewidmet – Zutritt nur mit landwirtschaftlichem Hintergrund, verlässlicher Anliegerschaft oder passender Lautstärke. Die Demokratie rollt – aber bitte mit Allrad, Agrarhintergrund und Zugangscode.
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