Von Thomas Thöne
Ein gesundheitspolitisches Jahrhundertwerk soll ab dem kommenden Dienstag für die Region 10, bis hin nach Mainburg, auf den Weg gebracht werden. Kreis- und Stadträten, Bürgermeistern, Bezirksräten und weiteren geladenen Gästen, etwa 300 an der Zahl, wird im Stadttheater Ingolstadt ein „Gutachten Medizinstrategie für die Region“ auf einer Informationsveranstaltung vorgestellt, von der die Vertreter der Medien ausgeschlossen wurden. Somit ist Berichterstattern nicht möglich, die Öffentlichkeit zu unterrichten, wie die geladene Vertretung der Bürgerschaft auf die Vorstellung des Gutachtens reagiert, welche Fragen oder Nachfragen gestellt werden.
Die Veranstaltung soll der Auftakt sein für ein Vorhaben, an dem am Ende ein regionaler Krankenhausverbund steht. Dies würde den Zusammenschluss des Ingolstädter Klinikums und Krankenhäuser in Eichstätt, Schrobenhausen, Pfaffenhofen und Mainburg bedeuten, sowie eine Neuausrichtung des Krankenhauses Kösching. Ein neuer Arbeitgeber für alle Beschäftigten dieser Einrichtungen unter welcher Rechtsform auch immer, ob GmbH oder Kommunalunternehmen, als Fernziel. Der Bezirk Oberbayern wird diesen Schritt dem Vernehmen nach nicht mitgehen und die stationäre psychiatrische Versorgung selbst gewährleisten. Diese findet derzeit in Ingolstadt im Klinikum statt. Die notwendigen Grundsatzbeschlüsse für den neuen Krankenhausverbund sollen bereits vierzehn Tage nach der Informationsveranstaltung in den zuständigen politischen Gremien getroffen werden.
Das Gutachten war ursprünglich erst für das Frühjahr dieses Jahres angekündigt. Wie bereits berichtet, wurde die, nach Angaben aus der Kommunalpolitik, mindestens 700.000 Euro teure Expertise in der Entwurfsform schon im zurückliegenden Oktober mit Vertretern von beteiligten Kliniken besprochen. Dabei wurde auch erörtert, welche Fragen der beteiligten Klinikvertreter noch im Gutachten zu berücksichtigen sind. Vor dieser Zusammenkunft gab es ein Treffen von Landräten und dem Ingolstädter Oberbürgermeister, bei dem der Stand des Gutachtenentwurfs erörtert wurde.
Nach mehrmonatigen Recherchen von O-T(h)öne zahlreichen Gesprächen zeichnet sich die nachfolgend beschriebene Entwicklung in der regionalen Krankenhauslandschaft ab.
In den Krankenhäusern der betroffenen Landkreise werden künftig bestimmte medizinische Leistungen nicht mehr in dem Umfang angeboten wie bisher. Dies wird langfristig auch Auswirkungen auf den Bereich Rettungsdienst und Krankentransport in der Region haben. Das Kreiskrankenhaus Kösching wird in seiner jetzigen Form nicht bestehen bleiben, sondern sich zu einem medizinischen Versorgungszentrum für die Region entwickeln.
Das Ziel des Zusammenschlusses ist, die Defizite der genannten Kliniken zu senken und langfristig eine schwarze Null zu schreiben. Dazu hat der Gutachter, die Firma PricewaterhouseCoopers GmbH – ein früherer Arbeitgeber des jetzigen Ärztlichen Direktors und Geschäftsführers des Ingolstädter Klinikums–, wie üblich Stärken und Schwächen der jeweiligen Einrichtungen anhand der bisherigen Leistungsdaten und Kennzahlen beleuchtet.
Im Hinblick auf die aktuelle Krankenhausreform und das neue Krankenhaustransparenzgesetz werden für die jeweiligen Häuser Konzentrationen auf sogenannte Leistungsgruppen empfohlen. Großer Gewinner eines neuen Krankenhausverbundes ist das Ingolstädter Klinikum. Mit Umsetzung des Gutachtens werden deutliche Erlösverbesserungen aller beteiligten Kliniken in Aussicht gestellt. Zielkorridor für die schwarze Null, also der Zeitraum, in der keine Defizite mehr erwirtschaftet werden. Dieser dürfte um das Jahr 2030 liegen.
Die Verbesserung der Finanzsituation soll bei Krankenhausverbünden durch den Zusammenschluss von Ressourcen wie Personal, medizinische Ausrüstung und Verwaltungskosten erfolgen, ferner durch gemeinsame Einkaufs- und Servicestrukturen, sofern bisher nicht vorhanden. Befürworter von Krankenhausverbünden verweisen darauf, dass die Einführung einheitlicher Qualitätsstandards und -kontrollen, die Versorgungsqualität erhöht und die Spezialisierung einzelner Standorte zu einer gezielten und hochwertigen medizinischen Versorgung führt.
Zu den Nachteilen von Krankenhausverbünden gehören eine mögliche Verschlechterung der Erreichbarkeit und der Versorgungssicherheit für die Patienten. Dies gilt auch besonders für Teile der betroffenen Landkreise rund um Ingolstadt. Hier könnten Versorgungslücken entstehen, durch das Schließen von Abteilungen und die Zentralisierung bestimmter medizinischer Leistungen. Ferner kommt es zu längeren Anfahrtswegen für Patienten, aber auch für deren Angehörige bei Besuchen.
Eine mögliche Beeinträchtigung der Mitarbeiterzufriedenheit und des Betriebsklimas durch die Veränderung von Strukturen, Prozessen und Kulturen darf nicht unterschätzt werden. So ist beispielsweise von Mitarbeitern aus dem Krankenhaus Pfaffenhofen zu hören, dass dort eine sehr familiäre Arbeitsatmosphäre vorherrscht, ebenso ein Führungsstil, der zwischen kooperativ bis charismatisch liegt, auch vonseiten der Geschäftsführung. Mitarbeitende des Ingolstädter Klinikums beschreiben den Führungsstil von der Geschäftsführung ausgehend als autoritär, autokratisch bis hin zu bürokratisch, also Bottom-up. Die örtlich zuständige Gewerkschaftssekretärin von ver.di beklagte erst jüngst in einem Audiointerview in diesem Klinikum eine mangelnde Anerkennungs- und Wertschätzungskultur.
Bei den aktuellen Überlegungen eines Krankenhausverbundes der Region sind frühzeitig die Sorgen und Ängste der Beschäftigten ernst zu nehmen, was die künftige Sicherheit des Arbeitsplatzes betrifft. Immerhin wurden in bisherigen Krankenhausverbünden Bereiche wie Personalabteilungen, Gehaltsabteilungen, Krankenhaus-IT, Controlling, Codierung, Finanzwesen zusammengefasst, was langfristig den Abbau von Stellen bedeuten kann. Aufgenommen werden müssen auch zeitnah die Befürchtungen von lohnabhängig Beschäftigten, dass diese nach Belieben in den einzelnen Häusern des Krankenhausverbundes eingesetzt werden könnten, um Personalausfälle in betroffenen Kliniken abzufangen.
Bei den Mitarbeitenden in den Abteilungen Reinigung, Ver- und Entsorgung sowie in anderen Unternehmensteilen von Krankenhäusern stellt sich rasch die Frage nach der Sicherheit der aktuellen tariflichen Regelung. Dies kommt besondere Bedeutung in einem Krankenhausverbund vor Ort, da jüngst erst die Mitarbeitenden des Ingolstädter Klinikums in diesen Bereichen in den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes zurück überführt wurden.
Kritiker von Krankenhausverbünden verweisen auch auf eine mögliche Verringerung der Transparenz und der demokratischen Kontrolle durch die Komplexität und Intransparenz vom Verbundstrukturen.
Die Gründung eines regionalen Krankenhausverbundes zwischen der Stadt Ingolstadt und den betroffenen Landkreisen erfordert daher eine sehr sorgfältige Abwägung der Chancen und Risiken. Die professionelle Planung und Umsetzung ist existenziell. Diese muss zwingend extern begleitet werden, damit Fachlichkeit am Ende vor Befindlichkeit von Akteuren der Vorrang eingeräumt wird. Dabei sind die Interessen aller Beteiligten wie der Patienten, Mitarbeitenden und der die Kommunen zu berücksichtigen. Es wird eine geeignete Organisationsstruktur benötigt ebenso bedarf es Steuerungssysteme, die eine effektive Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Häusern ermöglichen. Von zentraler Bedeutung wird im Hinblick auf die aktuelle Krankenhausreform die Patientensteuerung unter den Häusern werden. Hier bedarf es einer! klaren Weisungsbefugnis im Verbund der Häuser.
Krankenhausverbünde in Deutschland sind in den letzten Jahren gescheitert oder in Schwierigkeiten geraten. Die Ursachen dafür sind vielfältig und reichen von einer mangelnden strategischen Ausrichtung, unzureichende Integration, fehlende Synergien über eine unzureichende Balance zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung, die eine effiziente Steuerung sowie eine flexible Anpassung an lokale Bedürfnisse ermöglicht.
Wie bereits berichtet, schlossen 2007 die Träger der kommunalen Kliniken der Landkreise Coburg (Bayern), Hildburghausen (Thüringen), Lichtenfels (Bayern) und Sonneberg (Thüringen) sowie der Städte Coburg (Bayern) und Schleusingen (Thüringen) den Zusammenschluss ihrer Kliniken und der angegliederten Einrichtungen zu einem Gesundheitsverbund mit dem Namen REGIOMED. 2018 erzielte die Klinikgruppe REGIOMED erstmals einen Verlust. Im September 2023 beschlossen die Gesellschafter von REGIOMED die betriebenen Krankenhäuser ab dem 1. Januar 2024 wieder auf die Gebietskörperschaften zu überführen. Grund waren Verluste von mehr als 20 Millionen Euro. Stadtrat und Kreistag Coburg stimmten jedoch aufgrund der hohen finanziellen Belastung gegen eine Rückführung der REGIOMED-Krankenhäuser in kommunale Trägerschaft. In diesem Jahr stellte der Klinikverbund regiomed Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung beim Amtsgericht Nürnberg.
Der Klinikverbund Südwest (KVSW), eine der größten und leistungsfähigsten kommunalen Gesundheitseinrichtungen in Süddeutschland, hat einen solchen Prozess eines neuen Krankenhausverbundes unter der Bezeichnung Medizinkonzeption 2030 schon hinter sich. Das Ergebnis ist unter https://www.klinikverbund-suedwest.de/medizinkonzeption-2030/ einsehbar und gibt Aufschluss darüber, wie Bündelung von medizinischen Leistungen erfolgt.
Lesen Sie hierzu auch:
Gewerkschaftssekretären Arina Wolf zur Arbeitssituation im Krankenhaus
Quelle: Eigene Berichterstattung.