Von Thomas Thöne
Erinnern Sie sich noch an die letzte Kommunalwahl in Ingolstadt? Wenn nicht, dann googeln Sie doch einmal dazu. Für einen „politischen Neuanfang“ und „Offenheit und Transparenz“ trat der heutige Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD) im Wahlkampf an. Parteien und Gruppierungen, die ihn mit einer Wahlempfehlung in der Stichwahl gegen seinen Amtsvorgänger mit in den Amtssattel hoben, verlangten „Ingolstadt muss wieder ehrlich werden“ diese sendeten einen „Ruf nach mehr Transparenz“ aus. „Ingolstadt stehe diesbezüglich am Beginn einer neuen Ära“.
Was aus diesen Wahlversprechen geworden ist, kann die Bürgerschaft anhand des politischen Handelns von Scharpf und großen Teilen des Stadtrates beim Thema Klinikenfusionen, auf Grundlage des Gutachtens der Firma PricewaterhouseCoopers GmbH zur standortübergreifenden Medizinstrategie für die Region 10, verfolgen.
Zuerst gab es eine nicht öffentliche Informationsveranstaltung für einen handverlesenen Kreis an Teilnehmern, darunter nach Angaben von Kreistagsmitgliedern sogar der Sprecher des Freundeskreises eines Krankenhauses. Medienvertreter waren nicht zugelassen. Denen wurde in einer Pressekonferenz zuvor nur ein Bruchteil dessen eröffnet, was in der Informationsveranstaltung für Mandatsträger und weitere Personen mitgeteilt wurde.
Keine Einsicht in das Gutachten
Mitglieder des Ingolstädter Stadtrates bekamen selbst auf Verlangen hin das Gutachten vor der Stadtratssitzung, in der ein Grundsatzbeschluss zur Zusammenarbeit in der Region gefasst wurde, weder ausgehändigt noch zur Einsicht. Wie viel mehr an Misstrauen kann man einem demokratisch gewähltem Stadtratsmitglied noch entgegenbringen? Erläuterungen zum Gutachten durch den Ersteller und die teilweise Beantwortung von Fragen aus dem Kreis des Stadtrates fand in besagter Stadtratssitzung nicht öffentlich statt. Mit mehr Demokratie wagen hat das alles wenig zu tun.
„Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche fragen“. Diese bekannte Aussage von Friedrich Merz, einst abwertend auf die Gewerkschaften und ihre Haltung zur Reform der Sozialsysteme verwendet, ist derzeit scheinbar die Haltung der Stadtspitze und der Mehrheit des Stadtrates bei den angedachten Fusionierungen von Kliniken in der Region.
Schutzbehauptung Wirtschaftsdaten
Das von Scharpf verwendete Argument zur nicht öffentlichen Sitzung zum Schutz von Wirtschaftsdaten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen überzeugt nicht wirklich. Sind doch viele ausführliche Zahlen und Daten, wenn auch nicht tagesaktuell, im gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsbericht auf der Homepage des Klinikums Ingolstadt unter https://klinikum-ingolstadt.de/wp-content/uploads/2024/01/20240126-KI-QBericht-2022-NEU.pdf veröffentlicht. Weiter sind Daten dem bayerischen Krankenhausbedarfsplan (https://www.stmgp.bayern.de/wp-content/uploads/2023/03/2023_bayerischer-krankenhausplan.pdf) zu entnehmen, auch die Jahresabschlüsse des Klinikums Ingolstadt sind öffentlich einsehbar (https://www.ingolstadt.de/sessionnet/getfile.php?id=206053&type=do und https://www.northdata.de/Klinikum+Ingolstadt+GmbH,+Ingolstadt/HRB+3593). Einsehbar ist ferner der Beteiligungsbericht der Stadt Ingolstadt zum Krankenhauszweckverband https://www.ingolstadt.de/sessionnet/getfile.php?id=205816&type=do).
Wie haben die von mir gewählten Stadträte argumentiert?
Als Bürger dieser Stadt und als Wähler hätte ich gern gewusst, wie sich die Stadtratsmitglieder zur Fusionierung der Krankenhäuser in der Region verhalten, die von mir drei Stimmen bei der letzten Kommunalwahl erhalten haben. Ich hätte gern erfahren, wie diese argumentieren, welche Fragen diese Stadtratsmitglieder stellen, welche Anträge und wie diese abstimmen. Immerhin haben diese Mandatsträger von mir einen Vertrauensvorschuss für die laufende Arbeitszeit bekommen. Weiter wäre das Agieren dieser Mandatsträger wichtig für mein Wahlverhalten im Jahr 2026 in Ingolstadt. All das ist durch die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen nicht möglich.
Ganz anders wurde im Landkreis Kelheim verfahren, hier wurde durch einen Geschäftsordnungsantrag von Kreistagsmitgliedern, der bei der Abstimmung eine Mehrheit bekam, das Gutachten öffentlich besprochen und diskutiert.
Ingolstädter Kommunalpolitik unter einer Käseglocke?
Angesichts der jüngsten Ergebnisse im Deutschland-Monitor, in der sich viele Befragte kritisch dazu äußerten, wie Demokratie hierzulande ausgestaltet wird, ist das Vorgehen von Scharpf und der Stadtspitze nicht nachvollziehbar. Wandelt der Großteil der Ingolstädter Kommunalpolitik etwa unter einer Käseglocke dahin?
Beachtlich auch, wie die Landkreisspitzen der Region und der Ingolstädter Oberbürgermeister ihr Handeln der Bürgerschaft darstellen. Sie verkaufen sich als Macher und Handelnde, was die künftige Ausgestaltung der medizinischen Versorgung in der Region 10 angeht. Tatsächlich sind sie aber Getriebene von 75 Millionen Euro Defizit, welche die beteiligten Kliniken derzeit verursachen.
Kein Wort an die Beschäftigten des Klinikums gerichtet
Es ist mehr als bedauerlich, dass der Ingolstädter Oberbürgermeister Christian Scharpf in besagter Stadtratssitzung es nicht geschafft hat, auf etwaige Sorgen, Nöte oder Ängste von Beschäftigten des Ingolstädter Klinikums einzugehen. Ganz egal, ob diese berechtigt sind oder nicht. Es gab keine Zusage des Stadtoberhauptes, dass nach einer Fusionierung der Kliniken, die Mitarbeitenden weiter im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes verbleiben. Immerhin fallen laut Statistica zwei Drittel der Krankenhauskosten auf das Personal. Der Anstieg der Personalkosten in den letzten zehn Jahren wird vom Statistischen Bundesamt mit rund 56,7 Prozent beziffert. Es gab auch keine Zusage, dass mit der Gewerkschaft ver.di ein Sozial- oder Überleitungstarifvertrag abgeschlossen wird. Zu Befürchtungen von Klinikpersonal, sie könnten innerhalb der Einrichtungen in der Region versetzt werden, gab es auch keinerlei beruhigende Worte.
De Lapuente und seine widersprüchlichen Rollen
Verwunderlich ist, dass sich zu diesen Themen auch der SPD-Fraktionsvorsitzende, Christian De Lapuente, nicht positionierte. Immerhin steht dieser in seiner beruflichen Rolle als Sekretär beim Deutschen Gewerkschaftsbund jeden 1. Mai mit in der ersten Reihe und protestiert für Arbeitnehmerrechte.
Mitwirkung der zuständigen Gewerkschaft verweigert
Nahezu befremdlich ist es, dass ein SPD-Oberbürgermeister jegliche Mitwirkung der zuständigen Gewerkschaft beim Gutachten ablehnt und sogar einen offenen Brief nicht beantwortet. Das hätte sich Dieter Reiter in München nicht erlauben dürfen. Vielleicht meint Scharpf, er habe mit der Rückführung in den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, von Mitarbeitern aus den Dienstleistungsbereichen am Klinikum Ingolstadt, genug getan und die Gewerkschaft müsse ihm dafür dankbar sein.
Kritik an den FREIEN WÄHLERN nicht nachvollziehbar
Nicht nachvollziehbar ist die Kritik an der Fraktion der FREIEN WÄHLER (FW) im Ingolstädter Stadtrat, die den Grundsatzbeschluss für eine standortübergreifende Medizinstrategie für die Region 10 in der jüngsten Stadtratssitzung nicht mitgetragen haben. Die ablehnende Haltung haben die Stadtratsmitglieder der FW nachvollziehbar begründet. Ihnen wurde das Gutachten, das Grundlage der Beschlussfassung war, vorenthalten. Also standen ihnen die Fakten des Gutachtens im Gesamtkontext nicht zur Verfügung. Fakten sind die Grundlage jeder sachlichen Entscheidung, somit lässt sich ohne Fakten keine gesichtete Entscheidung treffen. In eine sachliche Entscheidungsfindung müssen Ursache- und Wirkungszusammenhänge einfließen. Mögliche unbeabsichtigte Folgen müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Die Fakten müssen gesichert und nachprüfbar sein, sowie einer Bewertung durch verschiedene Experten standhalten. Eine Entscheidung nur möglich, wenn fachlich und sachlich ausreichend Informationen zur Verfügung stehen. Wichtige Entscheidungen, wie eine Jahrhundertreform des kommunalen Gesundheitswesens der Region, dürfen nicht unter Zeitdruck getroffen werden.
FREIE WÄHLER haben Druck standgehalten
Deshalb ist keine Schelte für das Verhalten der Stadtratsfraktion der Freien Wähler im Ingolstädter Stadtrat angebracht. Ganz im Gegenteil, ihnen ist zu danken, dass sie versucht haben den Vorgang zu entschleunigen und weitere Fakten zu erhalten und diese zu bewerten, gegebenenfalls mit externer Beratung.
Wer mit Mitgliedern der Fraktion der FREIEN WÄHLER vor und nach der entscheidenden Stadtratssitzung gesprochen hat, weiß, dass diese sich ihre Entscheidung zur Ablehnung der Beschlussvorlage nicht leicht gemacht haben. Die Fraktion war erheblichem Druck von anderen Stadtratsmitgliedern ausgesetzt, wie es auch in einem Audiostream zu verfolgen war. Die Mandatsträger der FW waren sich im Vorfeld auch bewusst, dass ihre Gegenstimmen dazu führen könnten, dass sie medial schlecht dargestellt werden.
Nicht zu vergessen ist, dass einige Mitglieder des Stadtrates den FREIEN WÄHLERN immer noch das Bürgerbegehren zu den Kammerspielen nicht verziehen haben. Das gilt auch für manche Journalisten in örtlichen Redaktionen, wie man unterschwellig so mancher Berichterstattung entnehmen kann, in der die FREIEN WÄHLER, egal zu welchem Thema, genannt werden.
Erstaunliches Verhalten von Medienvertretern
Erstaunlich ist auch das Verhalten mancher Medienvertreter zum gesamten Vorgang. Früher ging ein sehr bekannter ehemaliger Lokaljournalist auf die Barrikaden, nachdem der Gestaltungsbeirat der Stadt Ingolstadt plötzlich nicht öffentlich getagt hatte.
Heute findet man sich damit ab, auf einer Pressekonferenz nur Teilinformationen zu bekommen, während danach die tatsächlichen Informationen in einer Informationsveranstaltung kundgetan werden, bei der die Medien keinen Zugang haben.
Wie schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung auf ihrer Homepage: „Medien tragen sowohl zur Stabilität des politischen Systems als auch zum stetigen Wandel der Gesellschaft aufgrund aktueller Entwicklungen bei. Dies geschieht, indem Medien über alle wichtigen Bereiche der Gesellschaft, das heißt insbesondere Politik, Wirtschaft sowie Kultur und Soziales so vollständig, sachlich und verständlich wie möglich informieren, in freier und offener Diskussion zur Meinungsbildung beitragen und mit Kritik und Kontrolle durch investigativen -nachforschenden und aufdeckenden- Journalismus begleiten“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
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